Dolly - 13 - Ueberraschung auf der Burg
gestärkt hatte, verrieten, nicht nur ihre rotglühenden Bäckchen und die Nase, sondern auch der selbstvergessen in die Ferne gerichtete Blick. Betont aufrecht betrat sie den Raum und steuerte sehr konzentriert auf ihren Stuhl zu.
Sofort war Ulla bei ihr.
„Fräulein Innig, entschuldigen Sie, ich habe da etwas nicht verstanden.” Schnell schob sie der Lehrerin ihr Heft vor die Augen. „Sollen wir bei dieser Aufgabe nur die Fragen beantworten oder die Fragen mitschreiben?”
„Es genügt, wenn ihr die Antworten hinschreibt”, sagte Fräulein Innig und stieß dabei mit der Zunge an.
Ulla warf den anderen einen verschwörerischen Blick zu. Jetzt hatte auch Inge etwas zu fragen, dann Irmela und schließlich Clara. Die arme Lehrerin zeigte Zeichen der Erschöpfung nach so viel Anstrengung.
Endlich kehrte Ruhe in der Klasse ein. Die Köpfe senkten sich auf Bücher und Hefte, nur das Kritzeln der Federhalter war zu hören und das leise Umschlagen von Buchseiten.
Fräulein Innig seufzte tief auf. Ihre Hand wanderte suchend zur Rocktasche, in der der Seelentröster wartete. Sie fühlte sich entsetzlich zerschlagen heute, als hätte sie Blei in den Gliedern, das mußte das Wetter machen. Die Kälte tat ihr einfach nicht gut. Wenn sie diese Stunde überstehen wollte, brauchte sie dringend einen Schluck zur Stärkung. Zwar hatte sie heute schon fast das Doppelte ihrer sonstigen Ration getrunken, wie sie sich eingestehen mußte; außerdem hatte sich ihr Bedarf, seitdem sie die neue Stellung angetreten hatte, ständig erhöht, aber das hing sicher mit dem Meeresklima zusammen, das sie nicht gewöhnt war. Und so eine neue Umgebung, das Einleben unter fremden Menschen, waren schließlich Belastungen, mit denen fertig zu werden nicht so einfach war. Da konnte man sich vorübergehend schon einmal eine etwas höhere Dosis zubilligen. Wenn die Schwierigkeiten der ersten Monate überstanden waren, würde sie das ganz sicher nicht mehr brauchen.
Fräulein Innig genehmigte sich einen tiefen Schluck. Dann wanderte ihr Blick träumerisch zum Fenster, hinüber zu den Klippen, die im Schein der untergehenden Sonne tiefrot aufzuglühen schienen. Welch ein Schauspiel! Doch was war das? Durch das Bild wischte etwas wie ein springender Schatten. Und jetzt wieder. Fräulein Innig richtete den Blick auf das Fensterbrett. Die Köpfe der Mädchen senkten sich tiefer, die Federn kratzten schneller übers Papier. Da! Kein Zweifel – im Fenster bewegte sich etwas. Tiere! Kleine weiße Mäuse.
Fräulein Innig erstarrte. Ihr Herz begann heftig zu klopfen. Automatisch hob sie das Fläschchen an die Lippen und nahm einen Schluck. Über den Rand hinweg schielte sie zum Fensterbrett. Eines der Tierchen setzte sich auf die Hinterpfoten und sah sie an. Kein Zweifel – es grinste! Dann begann es, wie wild hin-und herzuhüpfen.
Fräulein Innig erstarrte und schielte zum Fensterbrett
„Renate!” keuchte die Lehrerin. „Renate, würdest du bitte nachsehen, was sich dort zwischen den Fenstern befindet?”
„Zwischen den Fenstern? Da ist nichts, Fräulein Innig!”
„Aber ich sehe es doch ganz genau. Tu mir den Gefallen und sieh nach.”
„Gern, Fräulein Innig.”
Renate stand auf und ging zum Fenster hinüber. Die Nasenspitzen der anderen berührten fast das Papier, als sie das innere Fenster öffnete, mit der Hand über das Fensterbrett fuhr, wobei sie darauf achtete, daß keines der Mäuschen die Gelegenheit zur Flucht benutzte. Es sah sehr überzeugend aus, stellte Uschi bewundernd fest.
„Da ist nichts, Fräulein Innig! Was sollte denn da sein?” Fräulein Innig hatte auf Renates Hand gestarrt wie das Kaninchen auf die Schlange. Zweifellos hätte sie jetzt hingehen müssen, um sich selbst zu überzeugen, aber das wagte sie nicht. Erstens war sie sich der Festigkeit ihrer Schritte nicht sicher, und zweitens war ihr jedes krabbelnde Getier ein Greuel.
„So, ja also, wie man sich täuschen kann”, murmelte sie und sah verwirrt auf die Mädchen. Die blickten jetzt entweder teilnahmslos auf das Fensterbrett, oder auf die Lehrerin. Ihre Gesichter waren arglos und voller Erstaunen, offensichtlich hatte nicht eine von ihnen gesehen, was die Lehrerin so in Schrecken versetzt hatte.
„Da! Da!” Mit einem erstickten Aufschrei schoß Fräulein Innigs Arm hoch und wies mit bebendem Zeigefinger in Richtung Fensterbrett. Wieder hatte die Maus sich drohend aufgerichtet, jetzt waren es sogar zwei, die sie höhnisch angrinsten.
Renate öffnete das Fenster
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