Dolly - 14 - KLassentreffen auf der Burg
nicht!“
„Warum nicht?“ rief Andrea. „Das war doch spitze! Jetzt bin ich dran!“
Sie griff nach einem neuen Kartoffelknödel und wog ihn in der Hand. Während sie über einen weiteren Vorwurf nachdachte, sah sie Maria prüfend an. Maria wurde ganz klein vor Angst, das Geschoß könnte ihr mitten ins Gesicht klatschen. Andreas Gesicht wurde nachdenklich.
„Du hast Angst vor mir? Ist das wahr? Aber wieso, das verstehe ich nicht!“
„Ich wollte immer so sein wie du, aber ich kann’s einfach nicht. Du bist so frei, du fürchtest dich vor nichts, du lebst so, wie es dir gefällt, und ich…“
„Du etwa nicht?“ Andrea lachte bitter auf.
„Wie kannst du so etwas fragen! Du weißt doch genau, wie sie zu Hause sind. Nichts darf ich, alles ist genau vorgeschrieben. Aber selbst wenn ich es versuchte, ich hab’ einfach zuviel Angst.“
„Na, die kann man doch überwinden“, sagte Andrea in einem ganz neuen, kameradschaftlichen Ton. „Verrückt. Und ich hab’ mir immer gedacht, ich wäre der glücklichste Mensch der Welt, wenn ich so hübsch und so klug wäre wie du und so feine Manieren hätte, damit mich auch alle mal so bewundernd anschauen, wie sie dich immer anschauen. So ein richtiges Vorzeige-Exemplar! Musterkind!“
„Das kannst du doch nicht im Ernst meinen!“
„Doch. Neben dir komme ich mir vor wie ein Trampeltier, wie ein Dinosaurier, wie… aber warum zum Teufel hast du dann immer so getan, als sei ich der letzte Mensch, das verstehe ich nicht!“
„Irgendwie mußte ich mich doch wehren, meine Selbstachtung bewahren! Aber es hat mich nicht glücklich gemacht“, fügte Maria leise hinzu. „Im Gegenteil. Ich komme mir immer vor wie eine schlechte Kopie meiner Mutter, wenn ich all die Sachen sage. Es hat überhaupt keinen Spaß gemacht.“
„Mannomann“, murmelte Andrea kopfschüttelnd und starrte gedankenverloren auf den Kartoffelknödel in ihrer Hand.
„Wir haben vergessen zu werfen“, sagte Maria schüchtern.
„Tatsächlich.“ Andrea grinste. „Na los, du bist dran! Schmeiß! Mit aller Kraft! Na los, tu’s!“
Maria lachte unter Tränen und warf. Das Geschoß klatschte Andrea vor die Stirn und fegte flach über ihren Kopf weg, so daß sie aussah, als trüge sie eine Pelzmütze.
„Gut!“ lobte Andrea und warf zurück. Sie traf Marias Schulter.
Jetzt flog Knödel auf Knödel, die beiden Mädchen sahen bald aus wie die Schneemänner. Sie lachten und schrien vor Begeisterung. Es war wie eine Befreiung.
„Na bitte!“ sagte Mona zufrieden. Olly seufzte sehnsüchtig.
„Ich möchte auch mal“, murmelte sie. „Nur ein einziges Mal! Darf ich nicht?“
„Auf wen denn?“ fragte Gusti.
„Egal. Hauptsache, es klatscht so richtig schön!“
Monsieur Monniers Geschenk
Den Französischunterricht in Burg Möwenfels gaben zwei Lehrerinnen: Madame Monnier, die schon zu Dollys Zeiten unterrichtet hatte, und Mademoiselle Bellot. War Madame Monnier eine liebenswürdige und humorvolle rundliche Dame, die bereits seit etlichen Jahren der reiferen Jugend angehörte, so war Mademoiselle Bellot eine herbe, strenge junge Frau mit einer Stimme wie eine verrostete Posaune. Gegen die kleine Madame Monnier wirkte sie wie ein mächtiges Standbild, alles an ihr war grob und kantig und wie aus Holz geschnitzt. Mademoiselle Bellot war Belgierin. Sie war noch nicht lange in Möwenfels, genau gesagt erst seit Beginn des neuen Schuljahres, denn sie hatte die nun pensionierte Mademoiselle Rougier abgelöst.
Mademoiselle Bellot war nicht allein gekommen. Hinter ihrem uralten Auto hatte sie einen ebenso uralten Pferdetransporter in den Hof des Möwennestes geschleppt, dem ein Pferd von ebenso gewaltigen Ausmaßen entstiegen war, wie sie Mademoiselle Bellot auf ihre Art besaß. Ein richtiges Schlachtroß war dieser Apfelschimmel, wie man sie sonst nur noch auf alten Gemälden findet. Ungeachtet dessen wurde er von seiner Besitzerin zärtlich Mon Petit genannt, mein Kleiner, was ebensowenig passend schien wie die Bedeutung ihres eigenen Namens: niedlich.
Jeden Nachmittag ritt Mademoiselle Bellot auf Mon Petit durch die Wälder. Sie ritt nicht besonders gut, aber die Zärtlichkeit, mit der sie an ihrem Pferd hing, machte es wett, daß sie sich um Regeln und Stil der Reitkunst nicht scherte.
Die Beziehungen zwischen Mademoiselle Bellot und Monsieur und Madame Monnier mußte man als distanziert bezeichnen.
„Sie ist schrecklich!“ gestand Madame Monnier Dolly unter vier Augen. „Diese riesige Person mit diesem
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