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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Gesicht zu sehen, und ich sah, wie das Blut von dem Schnitt in ihrer Kopfhaut durch die tiefen Runzeln auf ihrer Wange rann wie Frühlingsregen durch bergab führende Ackerfurchen.
    Ich sagte: »Wenn es das ist, was Sie wollen, Vera, dann helfe ich Ihnen.«
    Da begann sie zu weinen. Es war das einzige Mal, daß ich sie weinen sah, ohne verwirrt zu sein. »Ja«, sagte sie. »Ja, das ist es, was ich will. Gott segne Sie, Dolores. Ich habe Ihnen alles hinterlassen, müssen Sie wissen. Alles.« 
    »Es ist nett von Ihnen, daß Sie an mich denken«, sagte ich. Ich hob ihre alte, verrunzelte Hand an die Lippen und küßte sie.
    Wie, Frank?
    Ob ich ihr glaubte? Hast du kein Wort von dem gehört, was ich gesagt habe? Sie lag da auf der Treppe, bat mich, sie von ihrem Elend zu erlösen, so wie man ein Pferd mit einem gebrochenen Bein erlöst, und ich hatte mich gerade dazu bereiterklärt. Ob ich ihr glaubte? Ich hatte sie nicht einmal richtig gehört. Ich hätte nicht anders reagiert, wenn sie gesagt hätte, sie hätte mit den Feen auf Russian Meadow abgemacht, daß ich von nun an zum Festland würde fliegen können, anstatt auf die Fähre angewiesen zu sein.
    »Sind die Schmerzen sehr schlimm?« fragte ich sie. »Nicht so schlimm, wie sie bald sein werden«, sagte sie. »Beeilen Sie sich, Dolores. Wenn Sie mir wirklich helfen wollen, dann beeilen Sie sich bitte.«
    Bevor der Mut Sie verläßt, war das, was ihre Augen zu sagen schienen.
    Ich küßte ihre Hand noch einmal, dann legte ich sie auf ihren Bauch und stand auf. Diesmal hatte ich damit keine Mühe; die Kraft war in meine Beine zurückgekehrt. Ich ging die Treppe runter in die Küche. Bevor ich rausgegangen war, um die Wäsche aufzuhängen, hatte ich die Backutensilien bereitgelegt; ich war auf die Idee gekommen, daß es ein guter Tag wäre, um Brot zu backen. Sie hatte ein Nudelholz, ein großes, schweres Ding aus schwarz geädertem Marmor. Es lag auf dem Tisch, neben dem Mehlbehälter aus gelbem Plastik. Ich nahm es in die Hand, wobei mir immer noch so war, als befände ich mich in einem Traum oder hätte hohes Fieber, und kehrte durch das Wohnzimmer zurück auf die vordere Diele. Als ich durch dieses Zimmer ging mit all ihren hübschen alten Sachen darin, dachte ich daran, wie oft ich sie mit dem Staubsauger reingelegt hatte, und wie es ihr eine Zeitlang gelungen war, die Oberhand zu behalten.
    Ich kam aus dem Wohnzimmer in die Diele, dann stieg ich die Treppe hinauf, einen der hölzernen Griffe des Nudelholzes in der Hand. Wenn ich dahin kam, wo sie lag, mit dem Kopf nach unten und den verrenkten Beinen unter sich, wollte ich keine Sekunde zögern; ich wußte, wenn ich das tat, würde ich nicht imstande sein, es überhaupt zu tun. Es würden keine weiteren Worte mehr gewechselt werden. Wenn ich sie erreicht hatte, wollte ich mich auf ein Knie niederlassen und ihr dieses marmorne Nudelholz über den Schädel schlagen, so heftig ich konnte und so schnell ich konnte. Vielleicht würde es so aussehen wie etwas, das ihr bei ihrem Sturz passiert war, vielleicht auch nicht, aber ich wollte es auf jeden Fall tun. Doch als ich neben ihr niederkniete, sah ich, daß ich es nicht zu tun brauchte; sie hatte es schließlich doch von sich aus geschafft, wie das meiste, das sie in ihrem Leben getan hatte. Während ich in der Küche war und das Nudelholz holte, oder vielleicht auch, während ich durch das Wohnzimmer zurückkehrte und daran dachte, wie oft ich sie mit dem Staubsauger reingelegt hatte, hatte sie einfach die Augen zugemacht und war gestorben.
    Ich setzte mich neben sie, legte das Nudelholz auf die Treppe, ergriff ihre Hand und hielt sie in meinem Schoß. Im Leben eines Menschen gibt es manchmal Zeiten, die nicht aus wirklichen Minuten bestehen und die man deshalb nicht abschätzen kann. Ich weiß nur, daß ich eine Weile bei ihr saß. Ich habe keine Ahnung, ob ich etwas gesagt habe oder nicht. Es kann sein, daß ich es getan habe - ich glaube, ich dankte ihr dafür, daß sie es mir erspart hatte, alles noch einmal durchzustehen -, aber vielleicht habe ich das auch nur gedacht. Ich weiß noch, daß ich ihre Hand an meine Wange legte und sie dann umdrehte und ihre Handfläche küßte. Die Linien waren fast völlig aus ihr verschwunden, und sie sah aus wie eine Babyhand. Ich wußte, daß ich eigentlich hätte aufstehen und jemanden anrufen müssen, berichten, was passiert war, aber ich war müde - so müde. Es war leichter, einfach dazusitzen und ihre Hand zu

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