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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zulassen. Wenn ich das nächste Mal in Wut geriet, würde es noch besser sehen, und Joe würde mir noch häßlicher vorkommen, und dann gab es vielleicht keinen Gedanken auf Erden, der mich davon abhalten konnte, es zu tun. Es war eine neue Art, wütend zu sein, zumindest für mich, und ich war gerade klug genug, um zu sehen, welchen Schaden sie anrichten konnte, wenn ich es zuließ. Ich mußte uns von Little Tall wegbringen, bevor meine Wut vollends ausbrach. Und als ich meinen ersten Schritt in diese Richtung tat, da fand ich heraus, was dieser merkwürdig verschlagene Ausdruck in seinen Augen bedeutete. Ich fand es heraus!
    Ich wartete ein paar Tage, bis sich die Dinge beruhigt hatten, dann fuhr ich an einem Freitagmorgen mit der ElfUhr-Fähre hinüber zum Festland. Die Kinder waren in der Schule, und Joe war mit Alan Stargill und seinem Bruder Gordon draußen vor der Küste, wo sie sich mit den Hummerfallen beschäftigten - er würde erst kurz vor Sonnenuntergang zurückkommen.
    Ich hatte die Sparbücher der Kinder dabei. Wir hatten von ihrer Geburt an Geld für ihren Collegebesuch zurückgelegt - ich jedenfalls hatte das getan; Joe war es scheißegal, ob sie aufs College gingen oder nicht. Wann immer das Thema zur Sprache kam - und natürlich war immer ich es, die es zur Sprache brachte -, saß er gewöhnlich in seinem schäbigen Schaukelstuhl mit dem Gesicht hinter dem Ellsworth American und schaute gerade lange genug hervor, um zu sagen: »Warum in aller Welt bist du so wild darauf, die Kinder aufs College zu schicken, Dolores? Ich war nicht dort, und ich komme trotzdem gut zurecht.«
    Nun, es gibt Dinge, über die man nicht diskutieren kann. Wenn Joe glaubte, daß er gut zurechtkam, wenn er die Zeitung las, in der Nase bohrte und das, was er da zutageförderte, an der Lehne seines Schaukelstuhls abwischte, dann war da kein Raum für Diskussionen; es war von vornherein hoffnungslos. Aber das störte mich nicht weiter. Solange ich ihn dazu bringen konnte, daß er sein Scherflein beitrug, wenn er zufällig einmal ein bißchen Geld machte, zum Beispiel damals, als er beim Straßenbau arbeitete, dann war mir völlig egal, ob er glaubte, jedes College im Lande würde von den Kommunisten geleitet. Ich brachte ihn dazu, fünfhundert Dollar auf ihre Konten einzuzahlen, und er winselte wie ein Hund. Behauptete, ich nähme ihm den letzten Groschen weg. Aber ich wußte es besser, Andy. Wenn dieser Hurensohn in diesem Winter nicht zweitausend, vielleicht sogar zweieinhalbtausend Dollar verdient hat, dann küsse ich ein Schwein.
    »Weshalb hackst du immer so auf mir herum, Dolores?« pflegte er zu fragen.
    »Wenn du Manns genug wärest, von dir aus das Richtige für deine Kinder zu tun, dann brauchte ich das nicht«, antwortete ich dann gewöhnlich, und so ging es immer weiter, bla-bla-bla. Von Zeit zu Zeit hatte ich es ziemlich satt, Andy, aber ich holte fast immer aus ihm heraus, was den Kindern meiner Meinung nach zustand. Aber ich hatte es nie satt, das zu tun, weil sonst niemand da war, der dafür sorgte, daß ihre Zukunft halbwegs gesichert war. 
    Es war nicht viel Geld auf diesen Konten, nach heutigen Maßstäben - an die zweitausend auf Selenas Konto, ungefähr achthundert auf dem von Joe Junior und vieroder fünfhundert auf dem von Little Pete -, aber hier ist von 1962 die Rede, und damals war das ein ganz schöner Haufen Geld. Mehr als genug jedenfalls, um damit wegzuziehen. Ich hatte vor, Little Petes Geld bar abzuheben und mir für die anderen beiden Bankschecks geben zu lassen. Ich hatte vor, einen sauberen Trennungsstrich zu ziehen und bis hinunter nach Portland zu ziehen, wo ich mir eine Wohnung und einen anständigen Job suchen wollte. Keiner von uns war an das Stadtleben gewöhnt, aber wenn es sein muß, gewöhnt man sich so ziemlich an alles. Außerdem war Portland damals kaum mehr als ein großes Dorf - kein Vergleich zu dem, was es heute ist.
    Sobald alles geregelt war, konnte ich anfangen, das Geld, das ich nehmen mußte, wieder zurückzuzahlen, und ich glaubte, ich würde es schaffen. Aber selbst wenn ich es nicht schaffte - sie waren intelligent, und es gab Stipendien. Und wenn sie die nicht bekommen sollten, dann würde ich nicht zu stolz sein, um ein paar Darlehensanträge auszufüllen. Die Hauptsache war, daß ich sie wegbrachte - das hielt ich damals für wesentlich wichtiger als das College. Das Dringendste zuerst, wie auf dem Aufkleber an der Stoßstange von Joes altem Farmall- Traktor zu

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