Dolores
drinnen ertrunken, Dolores?« rief sie herüber, und da wußte ich, daß ich es nicht länger hinausschieben konnte. Ich drehte den Wasserhahn zu, trocknete mir das Gesicht ab und kehrte in ihr Schlafzimmer zurück. Ich fing sofort an, mich abermals zu entschuldigen, aber sie tat es mit einer Handbewegung ab. Sie musterte mich immer noch, als wäre ich ein Käfer, den sie noch nie zuvor gesehen hatte.
»Wissen Sie, Sie haben mir einen ganz schönen Schrekken eingejagt«, sagte sie. »All diese Jahre war ich mir nicht sicher, ob Sie überhaupt weinen können ich habe gedacht, Sie wären vielleicht aus Stein.«
Ich murmelte etwas davon, daß ich in der letzten Zeit nicht gut geschlafen hätte.
»Das ist nicht zu übersehen«, sagte sie. »Sie haben eine Garnitur von Louis Vuitton unter den Augen, und Ihre Hände haben sich ein reizendes kleines Zittern zugelegt.«
»Was habe ich unter den Augen?« fragte ich.
»Unwichtig«, sagte sie. »Erzählen Sie mir, was los ist. Ein Brötchen im Ofen war der einzige Grund für einen so unerwarteten Tränenausbruch, den ich mir vorstellen konnte, und ich muß gestehen, es ist immer noch der einzige, an den ich denken kann. Also klären Sie mich auf, Dolores.«
»Ich kann nicht«, sagte ich, und ich will verdammt sein, wenn meine Unterlippe nicht abermals anfing zu zittern. Ich konnte spüren, wie die ganze Sache sich bereit machte, wieder auf mich einzuschlagen, wie die Kurbel von dem alten Model A-Ford meines Dad es immer tat, wenn man sie nicht richtig anfaßte; wenn ich nicht aufpaßte, würde es nicht lange dauern, bis ich wieder mit der Schürze vorm Gesicht auf ihrem Bett saß.
»Sie können und Sie werden es tun«, sagte Vera. »Sie können nicht den ganzen Tag damit zubringen, sich die Augen aus dem Kopf zu heulen. Davon kriege ich Kopfschmerzen, und dann muß ich ein Aspirin nehmen. Ich hasse es, Aspirin zu nehmen. Es reizt die Magenschleimhaut.«
Ich setzte mich auf die Bettkante und sah sie an. Ich machte den Mund auf ohne die leiseste Ahnung, was herauskommen würde. Was herauskam, war dies: »Mein Mann hat versucht, seine eigene Tochter zu vögeln, und als ich ihr College-Geld bei der Bank abheben wollte, damit ich mit ihr und den Jungen weggehen konnte, mußte ich feststellen, daß er sich alles unter den Nagel gerissen hat. Nein, ich bin nicht aus Stein. Ich bin ganz und gar nicht aus Stein.«
Ich fing wieder an zu weinen, und ich weinte eine ganze Weile, aber nicht so heftig wie vorher und ohne das Gefühl, mein Gesicht hinter meiner Schürze verbergen zu müssen. Als ich nur noch schnüffelte, da sagte sie, ich sollte ihr die ganze Geschichte erzählen, von Anfang an und ohne etwas auszulassen.
Und ich tat es. Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ich irgendwem diese Geschichte erzählen würde, und am wenigsten Vera Donovan mit ihrem Geld und ihrem Haus in Baltimore und ihrem Ungarn, der nicht nur dazu da war, ihren verdammten Lincoln zu polieren, aber ich erzählte sie ihr, und ich spürte, wie mir bei jedem Wort leichter ums Herz wurde. Ich erzählte die ganze Geschichte, wie sie es verlangt hatte.
»Und nun stecke ich in der Klemme«, endete ich. »Ich weiß einfach nicht, was ich mit dem Mistkerl anfangen soll. Wahrscheinlich könnte ich uns irgendwie durchbringen, wenn ich einfach die Kinder nehmen und sie aufs Festland bringen würde - vor schwerer Arbeit habe ich mich noch nie gefürchtet -, aber das ist nicht der springende Punkt.«
»Was ist es dann?« fragte sie mich. Das Stück Decke, an dem sie arbeitete, war fast fertig - ihre Finger waren so ziemlich die flinkesten, die ich je gesehen habe.
»Er hat mit seiner Tochter so ziemlich alles gemacht außer sie zu vergewaltigen«, sagte ich. »Er hat ihr eine solche Angst eingejagt, daß sie vielleicht nie wieder völlig darüber hinwegkommt, und er hat sich für sein mieses Verhalten selbst eine Belohnung von mehr als dreitausend Dollar gezahlt. Ich denke nicht daran, ihm das durchgehen zu lassen das ist der springende Punkt.«
»Tatsächlich?« sagte sie mit ihrer sanften Stimme, und ihre Stricknadeln klickten und der Regen rann an den Scheiben herunter und die Schatten tanzten auf ihren Wangen und ihrer Stirn wie schwarze Adern. Als ich sie so ansah, mußte ich an eine Geschichte denken, die mir meine Großmutter immer erzählt hat, von den drei Schwestern in den Sternen, die unser Leben stricken eine, die spinnt, eine die den Faden hält, und eine, die jeden Faden
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