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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schmalen weißen Linie zusammengepreßt, die aussah wie eine Narbe. Er ließ den Finsternisbetrachter wieder in seinen Schoß fallen, und seine Fäuste schlössen sich und öffneten sich wieder, ganz langsam.
    »Es stellte sich heraus, daß du das nicht hättest tun dürfen«, erklärte ich ihm. »Mr. Pease erkundigte sich, ob das Geld nach wie vor auf der Bank war. Als er festgestellt hatte, daß das der Fall war, waren wir beide erleichtert. Er fragte mich, ob ich wollte, daß er die Polizei riefe und ihr sagte, was passiert war. Ich konnte seinem Gesicht ansehen, daß er sich nichts sehnlicher wünschte, als daß ich nein sagte. Ich fragte ihn, ob er das Geld auf mich überschreiben könnte. Er schaute in einem Buch nach und sagte, das könnte er. Daraufhin sagte ich, ›Dann tun Sie das bitte.‹ Und er tat es. Und das ist der Grund dafür, daß ich mir um das Geld der Kinder keine Sorgen mehr mache, Joe - denn jetzt habe ich es. Ist das nicht eine tolle Überraschung?«
    »Du lügst!« schrie Joe mich an, und dann stand er so schnell auf, daß sein Schaukelstuhl beinahe umgekippt wäre. Der Finsternisbetrachter rutschte von seinem Schoß, landete auf dem Boden der Veranda und zerbrach. Ich wollte, ich hätte ein Foto davon, wie er da ausgesehen hat; ich hatte ihm einen Schlag versetzt, und er hatte ihn bis ins Mark getroffen. Der Ausdruck auf dem Gesicht dieses verdammten Dreckskerls war so ziemlich alles wert, was ich seit dem Tag mit Selena auf der Fähre durchgemacht hatte. 
    »Das können sie nicht tun!« röhrte er. »Du kannst keinen Cent von dieser Knete anrühren, kannst nicht einmal einen Blick auf das verdammte Sparbuch werfen…«
    »Meinst du?« sagte ich. »Wie kommt es dann, daß ich weiß, daß du schon dreihundert Dollar davon ausgegeben hast? Ich bin froh, daß es nicht mehr war, aber trotzdem überkommt mich jedesmal, wenn ich daran denke, die kalte Wut. Du bist nichts als ein gemeiner Dieb, Joe St. George - so gemein, daß du sogar deine eigenen Kinder bestiehlst!«
    Sein Gesicht war leichenblaß in der Düsternis. Nur seine Augen waren lebendig, und sie brannten vor Haß. Er hatte die Hände ausgestreckt, und seine Fäuste ballten und öffneten sich, ballten und öffneten sich. Ich schaute nur eine Sekunde lang auf den Boden und sah die Sonne jetzt weniger als die Hälfte, nur noch ein dicker Halbmond vielfach reflektiert in den Scherben aus geschwärztem Glas, die um seine Füße herumlagen. Dann sah ich ihn wieder an. Ich konnte es nicht riskieren, den Blick lange von ihm abzuwenden, nicht bei der Stimmung, in der er war.
    »Wofür hast du die dreihundert ausgegeben, Joe? Für Huren? Beim Pokern? Für beides einen Teil davon? Ich weiß, daß es nicht noch ein Schrottauto gewesen sein kann, weil kein neues auf dem Hof steht.«
    Er sagte nichts, sondern stand nur vor mir, ballte die Fäuste und öffnete sie wieder, und hinter ihm sah ich die ersten Glühwürmchen, kleine Lichtpunkte über dem Garten. Die Boote draußen auf dem Wasser waren jetzt nur noch Gespenster, und ich dachte an Vera. Ich konnte mir vorstellen, daß sie, wenn nicht schon im siebenten Himmel, doch zumindest in der Vorhalle war. Nicht, daß es angebracht gewesen wäre, an Vera zu denken; es war Joe, auf den ich mich konzentrieren mußte. Ich wollte ihn in Bewegung setzen, und ich schätzte, daß ein weiter guter Schubs das bewirken würde.
    »Aber wofür du es ausgegeben hast, ist mir ziemlich egal«, sagte ich. »Ich habe den Rest, und das ist die Hauptsache. Du kannst dir selbst einen reinschieben - das heißt, wenn du mit deinem schlappen Pimmel überhaupt noch einen Ständer zuwege bringst.«
    Er taumelte über die Veranda, zermalmte die Scherben des Finsternisbetrachters unter seinen Schuhen und packte mich bei den Armen. Ich hätte mich losreißen können, aber ich wollte es nicht. Nicht in diesem Augenblick.
    »Halt lieber dein freches Maul«, flüsterte er und blies mir Whiskeydunst ins Gesicht. »Denn wenn du es nicht tust, muß ich es dir stopfen.«
    »Mr. Pease wollte, daß ich das Geld auf der Bank lasse, aber das wollte ich nicht - nachdem du es geschafft hattest, es von den Konten der Kinder runterzuholen, würdest du womöglich auch Mittel und Wege finden, es von meinem Konto runterzuholen. Dann wollte er mir einen Scheck geben, aber ich hatte Angst, du könntest ihn sperren lassen, falls du rausfinden solltest, was ich vorhatte, bevor ich wollte, daß du es herausfindest. Also habe ich Mr. Pease gebeten,

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