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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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es mir in bar auszuzahlen. Es gefiel ihm nicht, aber schließlich hat er es doch getan, und jetzt habe ich es, jeden einzelnen Cent, und ich habe es an einem sicheren Ort versteckt.«
    Da packte er mich bei der Kehle. Ich war ziemlich sicher gewesen, daß er das tun würde, und ich hatte Angst, aber genau das wollte ich - es würde ihn das letzte, was ich zu sagen hatte, viel eher glauben lassen. Aber das war nicht das Wichtigste. Daß er mich auf diese Weise bei der Kehle packte, ließ es irgendwie eher wie Notwehr erscheinen das war das Wichtigste. Und es war Notwehr, einerlei, was das Gesetz darüber zu sagen hat; ich weiß es, weil ich dabei war und das Gesetz nicht. Am Ende verteidigte ich mich selbst, und ich verteidigte meine Kinder.
    Er nahm mir den Atem und würgte mich hin und her und brüllte dabei. Ich kann mich nicht an alles erinnern; ich glaube, er muß meinen Kopf ein- oder zweimal gegen einen der Verandapfosten geschlagen haben. Ich wäre ein verdammtes Dreckstück, sagte er, und er würde mich umbringen, wenn ich ihm das Geld nicht zurückgäbe, das Geld gehörte ihm - Blödsinn dieser Art. Ich begann zu fürchten, daß er mich tatsächlich umbringen würde, bevor ich ihm sagen konnte, was er hören wollte. Der Garten war wesentlich dunkler geworden und schien voll zu sein von diesen Lichtpünktchen, als ob zu den hundert oder zweihundert Glühwürmchen, die ich vorher gesehen harte, noch an die zehntausend weitere hinzugekommen wären. Und seine Stimme hörte sich so weit weg an, als wäre schon jetzt alles schiefgegangen - es war, als wäre ich an seiner Stelle in den Brunnen gefallen.
    Endlich ließ er mich los. Ich versuchte, mich auf den Füßen zu halten, aber meine Beine trugen mich nicht. Ich versuchte, auf den Stuhl zu sinken, auf dem ich vorher gesessen hatte, aber er hatte mich zu weit von ihm fortgezerrt, und mein Hintern streifte nur die Kante des Sitzes. Ich landete auf dem Boden der Veranda neben dem Häufchen Glasscherben, die alles waren, was von seinem Finsternisbetrachter übriggeblieben war. Eine größere Scherbe war noch da, in der eine halbmondförmige Sonne funkelte wie ein Edelstein. Ich wollte danach greifen, doch dann ließ ich es. Ich würde ihn nicht schneiden, selbst wenn er mir die Gelegenheit dazu bot. Ich durfte ihn nicht schneiden. Ein solcher Schnitt - ein Schnitt mit einer Glasscherbe - würde später womöglich nicht richtig aussehen. Jetzt wißt ihr, wie ich dachte - es besteht wohl kaum ein Zweifel daran, ob es vorsätzlicher Mord war oder nicht, was, Andy? Statt nach der Scherbe griff ich nach meiner Reflektorbox, die aus irgendeinem schweren Holz bestand. Ich könnte behaupten, daß ich daran dachte, ihm damit einen Schlag zu versetzen, wenn es sein mußte, aber das wäre gelogen. In dem Moment dachte ich fast überhaupt nicht. Aber husten tat ich - so heftig, daß es mir wie ein Wunder vorkam, daß ich außer Spucke nicht auch noch Blut verspritzte. Meine Kehle fühlte sich an, als stünde sie in Flammen.
    Er riß mich wieder hoch, so grob, daß einer der Träger meines Unterrocks riß, dann erwischte er mein Genick mit der Armbeuge und zerrte mich zu sich hin, bis wir einander nahe genug waren, um uns zu küssen - nur, daß er zum Küssen jetzt nicht mehr in der rechten Stimmung war.
    »Ich habe dir gesagt, was passieren würde, wenn du nicht aufhörst, die große Lippe zu riskieren«, sagte er. Seine Augen waren irgendwie nass und merkwürdig, als hätte er geheult, aber was mir Angst machte, war die Art, wie er regelrecht durch mich hindurchzublicken schien, als wäre ich für ihn überhaupt nicht mehr da. »Ich habe es dir schon eine Million mal gesagt. Glaubst du mir jetzt, Dolores?«
    »Ja«, sagte ich. Er hatte mir die Kehle so schlimm gequetscht, daß es sich anhörte, als spräche ich durch einen Mund voll Schlamm. »Ja, das tue ich.«
    »Sag es noch einmal!« sagte er. Er hatte immer noch mein Genick in der Armbeuge, und jetzt drückte er so fest zu, daß er einen Nerv darin einklemmte. Ich schrie. Ich konnte nicht anders - es tat fürchterlich weh. Daraufhin grinste er. »Sag es so, als ob du es ernst meintest«, sagte er.
    »Ich tue es!« schrie ich. »Ich meine es ernst!« Ich hatte vorgehabt, so zu tun, als hätte ich Angst, aber Joe ersparte mir die Mühe; in diesem Augenblick brauchte ich ganz und gar nicht so zu tun.
    »Gut«, sagte er. »Freut mich, das zu hören. Und nun sag mir, wo das Geld ist, und zwar bis auf den letzten

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