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Dolores

Dolores

Titel: Dolores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Heller.« 
    »Es ist draußen beim Holzschuppen«, sagte ich. Jetzt hörte es sich nicht mehr so an, als redete ich durch einen Mund voll Schlamm; inzwischen hörte es sich an wie Groucho Marx in You Bet Your Life. Was irgendwie der Situation angemessen war, wenn ihr versteht, was ich meine. Dann sagte ich ihm, ich hätte das Geld in ein Glas gesteckt und das Glas in dem Brombeergestrüpp versteckt.
    »Darauf kann nur eine Frau kommen!« höhnte er, und dann gab er mir einen Schubs in Richtung Verandatreppe. »Also los. Holen wir es.«
    Ich stieg die Verandatreppe runter und ging an der Hauswand entlang. Joe war dicht hinter mir. Inzwischen war es fast so dunkel, wie es nachts ist, und als wir den Schuppen erreicht hatten, sah ich etwas so Merkwürdiges, daß ich für ein paar Sekunden alles andere vergaß.  »Sieh doch, Joe!« sagte ich. »Sterne!« 
    Und sie waren wirklich da - ich konnte an diesem Sommernachmittag um viertel nach fünf den Großen Bären so deutlich sehen wie sonst in einer Winternacht. Ich bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper, aber für Joe bedeutete es nicht das geringste. Er stieß mich so heftig an, daß ich fast gestürzt wäre. »Sterne?« sagte er. »Du wirst eine Menge Sterne sehen, wenn du noch mehr Ausflüchte machst, Frau - das kann ich dir versichern.« 
    Ich setzte mich wieder in Bewegung. Unsere Schatten waren völlig verschwunden, und der große weiße Stein, auf dem Selena und ich an dem Abend im Vorjahr gesessen hatten, zeichnete sich fast so deutlich ab, als wäre ein Punktstrahler darauf gerichtet, so, wie ich es sonst nur bei Vollmond gesehen habe. Aber es war nicht so wie Mondlicht, Andy - ich kann nicht beschreiben, wie es war, es war irgendwie düster und unheimlich - das muß genügen. Ich weiß noch, daß es, genau wie bei Mondlicht, schwierig war, Entfernungen richtig abzuschätzen; man konnte keinen einzelnen Brombeerstrauch mehr ausmachen - die Sträucher waren nur noch eine große, verschwommene Masse, vor der die Glühwürmchen herumtanzten.
    Vera hatte mir immer wieder eingeschärft, daß es gefährlich war, direkt in die Sonnenfinsternis zu sehen; sie sagte, es könnte einem die Netzhaut verbrennen oder einen sogar blind machen. Trotzdem konnte ich der Versuchung, den Kopf zu drehen und einen schnellen Blick über die Schulter zu werfen, ebensowenig widerstehen wie Lots Weib der Versuchung, einen letzten Blick auf Sodom zu werfen. Was ich sah, ist mir seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Wochen und manchmal ganze Monate vergehen, ohne daß ich an Joe denken muß, aber es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht an das denke, was ich an diesem Nachmittag sah, als ich über die Schulter zum Himmel hinaufschaute. Lots Weib wurde zur Salzsäule, weil sie ihre Augen nicht vorn behalten und sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern konnte, und ich habe manchmal gedacht, es ist ein Wunder, daß ich nicht denselben Preis bezahlen mußte.
    Die Finsternis war noch nicht total, aber es fehlte nicht mehr viel. Der Himmel hatte eine tiefpurpurne Farbe, und was ich über dem Wasser an ihm hängen sah, das sah aus wie eine große schwarze Pupille, fast vollständig umgeben von einem Gazeschleier aus Feuer. An einer Seite war noch ein schmaler Streifen übriggeblieben, wie geschmolzenes Gold in einem Hochofen. Es war nicht recht von mir, so etwas anzuschauen, und ich wußte es, aber nachdem ich es einmal getan hatte, war es, als könnte ich den Blick nicht wieder abwenden. Es war ungefähr so - ihr werdet vielleicht lachen, aber ich sage es trotzdem - es war ungefähr so, als hätte sich dieses innere Auge irgendwie von mir gelöst, als wäre es hinaufgeflogen zum Himmel und schaute jetzt auf mich herab, um zu sehen, wie ich zurechtkam. Aber es war viel, viel größer, als ich es mir je vorgestellt hatte! Viel, viel schwärzer!
    Ich hätte wahrscheinlich hingeschaut, bis ich stockblind war, wenn Joe mir nicht abermals einen Stoß versetzt und mich gegen die Schuppenwand geschleudert hätte. Das weckte mich auf, und ich ging weiter. Vor mir hing ein großer blauer Fleck, wie man ihn manchmal sieht, wenn jemand eine Blitzlichtaufnahme gemacht hat, und ich dachte: Wenn du dir die Netzhaut verbrannt hast und dir das für den Rest deines Lebens ansehen mußt, dann geschieht es dir recht, Dolores - es wäre nicht mehr als das Mal, das Kain tragen mußte.
    Wir gingen an dem weißen Felsbrocken vorbei, Joe nahe hinter mir, und er hielt mich am Kragen meines Kleides. Ich

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