Dom Casmurro
seidene Strumpfbänder, die sie auch nicht verlor. Verschiedene Personen eilten ihr zu Hilfe, aber sie kamen zu spät, um ihr aufzuhelfen. Die Dame erhob sich verlegen, klopfte sich den Staub ab, bedankte sich und verschwand in der nächsten Querstraße.
«Wie man sieht, ist es ein Fehler, die Französinnen aus der Rua do Ouvidor 39 nachzuahmen», war José Dias’ Kommentar, als wir weitergingen. «Unsere jungen Damen sollten lieber so gehen, wie sie immer gegangen sind, nämlich gemütlich und gelassen, und nicht mit diesem französischen Klack-klac k …»
Ich konnte ihm kaum zuhören. Die Strümpfe und Strumpfbänder der Dame verfärbten und verformten sich vor meinen Augen, sie eilten davon, fielen zu Boden, standen wieder auf, verschwanden. Als wir an die Querstraße kamen, warf ich einen Blick hinein und erblickte in der Ferne unsere Verunglückte, die im selben Rhythmus weiterging, klack-klack, klack-klac k …
«Offensichtlich hat sie sich nicht verletzt», sagte ich.
«Umso besser für sie. Aber sie kann sich unmöglich nicht die Knie aufgeschürft haben; diese Behändigkeit ist nur vorgetäusch t …»
Ich glaube, er sprach von «vorgetäuscht», doch ich blieb an den «aufgeschürften Knien» hängen. Von da an wünschte ich, bis wir im Seminar ankamen, allen Frauen, die uns begegneten, einen Sturz. Bei manchen erahnte ich sogar die straffen Strümpfe und die eng anliegenden Strumpfbände r … Vielleicht gab es sogar welche, die keine Strümpfe truge n … Aber ich habe sie doch mit Strümpfen gesehe n … Ode r … Möglich ist auc h …
Meine Sätze sind so zerrissen und voller Auslassungspünktchen, weil ich einen Eindruck meiner verworrenen und konfusen Gedanken vermitteln möchte; aber bestimmt gelingt mir das nicht. Mein Kopf glühte und mein Schritt war unsicher. Die erste Stunde im Seminar war unerträglich. Die Soutanen ähnelten Röcken und erinnerten mich an den Sturz der Dame. Es war nun nicht mehr nur eine Dame, die ich fallen sah; sämtliche Damen, die mir auf der Straße begegnet waren, ließen nun ihre blauen Strumpfbänder für mich aufblitzen; blaue waren es gewesen.
In der Nacht träumte ich davon. Eine Menge verachtenswerter Kreaturen tanzten auf einmal um mich herum, klack-klac k … Sie waren schön, mal feingliedrig, mal grob, doch alle flink wie der Teufel. Ich wachte auf und versuchte, sie mit Beschwörungen und anderen Methoden zu vertreiben, doch kaum war ich eingeschlafen, waren sie bereits wieder da. Sie fassten sich an den Händen und tanzten mit ihren Röcken einen großen Reigen um mich herum oder warfen von oben, aus der Luft, ihre Füße und Beine über mein Gesicht. So ging das bis in die frühen Morgenstunden. Ich schlief nicht mehr, sondern sprach Vaterunser, Ave-Marias und Glaubensbekenntnisse, und da in diesem Buch die reine Wahrheit geschrieben steht, muss ich auch schweren Herzens gestehen, dass ich meine Gebete mehrmals unterbrach, um im Dunkeln einer Figur zu folgen, klack-klack, klack-klac k … Daraufhin kehrte ich eilends zurück zu meinem Gebet und fing in der Mitte an, damit es so aussah, als hätte ich es gar nicht unterbrochen. Doch der neue Satz setzte bestimmt nicht dort ein, wo der alte geendet hatte.
Als ich das Übel im Morgenlicht betrachtete, versuchte ich es zu besiegen, indes auf eine Art, bei der es nicht gänzlich verlorenginge. Ihr weisen Schriftgelehrten, erratet ihr meine Methode? Sie sah folgendermaßen aus: Da ich die Bilder einfach nicht loswurde, ließ ich mein Gewissen und meine Fantasie einen Pakt schließen. Die weiblichen Visionen sollten fortan lediglich als Verkörperungen der Laster gelten, weshalb sie auch betrachtet werden durften, da dies das beste Mittel war, den Charakter zu mäßigen und abzuhärten für die rauen Kämpfe des Lebens. Ich formulierte den Pakt nicht mit diesen Worten, aber das war auch gar nicht nötig. Er wurde stillschweigend, wenngleich mit einem gewissen Widerwillen, geschlossen. Und ein paar Tage lang war ich es, der die Visionen auslöste, um mich zu stärken; war ich es, der sie nicht zurückwies, sondern geduldig wartete, bis sie müde geworden waren und von alleine gingen.
59
Gäste mit gutem Gedächtnis
Es gibt Erinnerungen, die keine Ruhe geben, bis Feder oder Zunge sie der Öffentlichkeit preisgeben. Ein alter Grieche oder Römer sagte einmal, Gäste mit gutem Gedächtnis seien zu verfluchen. Man begegnet im Leben zahlreichen solcher Gäste, und vielleicht bin auch ich einer davon,
Weitere Kostenlose Bücher