Dom Casmurro
welches ist das?» Die Antwort stand in seinen Augen geschrieben.
«Das von Mama», antworte ich sofort.
José Dias drückte mir gerührt die Hände und schilderte mir anschließend die Traurigkeit meiner Mutter, die täglich, fast stündlich von mir spreche. Da er sie stets sehr geschätzt hatte und immer wieder die Gaben, mit denen Gott sie ausgestattet hatte, hervorhob, war er in solchen Augenblicken unbeschreiblich stolz auf sie und sprach voll sentimentaler Bewunderung. Doch auch Onkel Cosme zeige sich sehr gerührt.
«Gestern ereignete sich eine interessante Situation. Als ich der Verehrtesten sagte, Gott habe ihr nicht nur einen Sohn, sondern einen Engel des Himmels geschenkt, bewegte das den Doktor so sehr, dass er keinen anderen Ausweg aus seiner Rührung fand, als eine dieser spöttischen Lobeshymnen auf mich anzustimmen, die nur er zustande bringt. Ich brauche wohl nicht eigens zu erwähnen, dass Dona Glória sich klammheimlich eine Träne abwischte. Sonst wäre sie schließlich keine Mutter. Was für ein liebendes Herz!»
«Aber Senhor José Dias, wie steht es denn mit meinem Austritt aus dem Seminar?»
«Das lass mal meine Sorge sein. Die Reise nach Europa ist auf jeden Fall vonnöten, aber das wird in ein, zwei Jahren sein, 1859 oder 186 0 …»
«So spät?»
«Besser wäre noch in diesem Jahr, aber lassen wir uns doch lieber Zeit. Du musst Geduld haben und fleißig studieren, es schadet schließlich nichts, wenn du hier schon ein paar Dinge lernst. Außerdem ist das Seminarleben, selbst wenn du nicht Priester wirst, immer von Nutzen, und es hilft dir, wenn du mit den heiligen Ölen der Theologie gesalbt ins Leben eintritts t …»
An dieser Stelle – das weiß ich noch, als wäre es heute geschehen – funkelten José Dias’ Augen so stark, dass ich erschrak. Er senkte die Lider und hielt die Augen eine Weile geschlossen, schlug sie wieder auf und richtete sie auf die Wand des Innenhofs, als wäre er völlig auf etwas oder auch auf sich selbst konzentriert. Schließlich löste er den Blick von der Mauer und ließ ihn im Hof umherschweifen. Ich könnte ihn an dieser Stelle mit der Kuh des Homer vergleichen, die blökend um das Kalb herumlief, das sie gerade zur Welt gebracht hatte. Ich fragte ihn nicht, was mit ihm sei, teils aus Verlegenheit, teils, weil gerade zwei Lehrer, einer davon der Theologie, auf uns zukamen. Als sie auf unserer Höhe waren, grüßte der Hausfreund, dem die beiden bekannt waren, sie mit der gebührenden Ehrerbietung und fragte sie nach ihrer Meinung über mich.
«Vorerst kann man noch nicht viel sagen», war die Antwort des einen, «aber mir scheint, er macht sich ganz gut.»
«Das habe ich ihm gerade auch gesagt», pflichtete José Dias bei. «Ich rechne damit, seine Primiz zu erleben, aber selbst wenn er die Weihe nicht empfängt, könnten ihm nirgendwo bessere Studien zuteilwerden als hier. So wird er die Reise des Lebens», und er zögerte die weiteren Worte hinaus, «mit den heiligen Ölen der Theologie gesalbt antreten.»
Diesmal war das Funkeln in seinen Augen weniger stark, die Lider senkten sich nicht und die Pupillen vollführten auch nicht die vorherigen Bewegungen. Im Gegenteil, alles an ihm war fragende Aufmerksamkeit. Höchstens huschte noch ein klares, freundliches Lächeln über seine Lippen. Der Theologielehrer fand Gefallen an der Metapher, und das äußerte er auch. José Dias bedankte sich und erklärte, derlei Ideen kämen ihm im Laufe der Gespräche. Er schreibe nicht und predige auch nicht. Mir gefiel das alles gar nicht, und kaum dass die Lehrer weg waren, schüttelte ich den Kopf: «Ich will nichts wissen von den heiligen Ölen der Theologie, ich will so schnell wie möglich hier weg, am besten sofor t …»
«Sofort, das geht nicht, mein Engel, aber vielleicht passiert es doch viel eher, als wir denken. Wer weiß, vielleicht sogar noch in diesem Jahr 1858? Ich habe einen Plan, und ich überlege mir gerade, mit welchen Worten ich ihn Dona Glória unterbreiten soll. Ich bin mir sicher, sie wird nachgeben und mit uns kommen.»
«Ich bezweifle, dass Mama ein Schiff besteigt.»
«Das werden wir dann sehen. Deine Mutter ist zu allem fähig, aber ganz gleich, ob sie mitkommt oder nicht, unsere Reise steht fest, und ich werde keine Mühen scheuen, das kannst du mir glauben. Wir brauchen nur Geduld. Und tu hier nichts, was Anlass zu Tadel oder Klagen geben könnte. Übe dich in Gelehrigkeit und äußerer Zufriedenheit. Hast du nicht das Lob des
Weitere Kostenlose Bücher