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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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obwohl der Beweis für mein schlechtes Gedächtnis genau darin liegen mag, dass mir jetzt der Name dieses alten Dichters nicht mehr einfällt. Es war ein Dichter der Antike, basta!
    Nein, mein Gedächtnis ist wirklich nicht gut. Im Gegenteil, es lässt sich mit einem Menschen vergleichen, der stets in Herbergen gewohnt, sich davon aber weder Gesichter noch Namen bewahrt hat, höchstens noch bestimmte Ereignisse. Wer jedoch sein Leben im Kreise der Familie zugebracht hat, mit den ewig gleichen Möbeln, Gebräuchen, Menschen und Zuneigungen, dem prägt sich alles durch die Beständigkeit und Wiederholung ein. Wie sehr beneide ich doch diejenigen, die nicht vergessen haben, welche Farbe ihre erste Hose hatte! Ich weiß nicht einmal die Farbe der Hose, die ich gestern trug. Ich schwöre nur, dass sie nicht gelb war, denn diese Farbe verabscheue ich, aber selbst das kann der Vergesslichkeit und Verwirrung anheimfallen.
    Doch Vergesslichkeit ist besser als Verwirrung. Ich werde es erklären: In verwirrenden Büchern wird nichts richtiggestellt, in Bücher, in denen etwas vergessen wurde, kann man hingegen alles hineinlegen. Wenn ich ein solches Buch lese, mache ich mir keine Sorgen. Denn wenn ich es ausgelesen habe, schließe ich einfach die Augen und lasse alles, was ich darin nicht gefunden habe, vor meinem geistigen Auge erstehen. Wie viele feinsinnige Gedanken kommen mir dann! Wie viele tiefgreifende Überlegungen! Die Flüsse, Berge, Kirchen, die ich in den gelesenen Seiten nicht sah, erscheinen mir nun mit ihren Wassern, Bäumen und Altären. Generäle ziehen Schwerter, die zuvor in der Scheide stecken blieben, Trompeten schmettern Töne, die zuvor im Metall schlummerten, und alles nimmt einen gänzlich unvorhergesehenen Gang.
    Denn außerhalb eines lückenhaften Buches lässt sich alles finden, lieber Leser. Ich fülle also fremde Lücken, und das kannst du auch mit den meinen tun.
    60
    Geliebtes Opusculum
    Genau das habe ich gerade mit dem «Loblied auf die heilige Monika» getan. Und mehr noch: Ich habe nicht nur das hinzugefügt, was der Heiligen fehlte, sondern auch Dinge, die mit ihr gar nichts zu tun haben. Man denke nur an die Sache mit dem Sonett, an die Strümpfe und Strumpfbänder, an den Seminaristen Escobar und anderes mehr. Nun wirst du sehen, was den vergilbten Seiten dieses Büchleins an jenem Tage außerdem entsprang.
    Liebes Opusculum, du warst zu nichts nutze, aber ist ein altes Paar Pantoffeln zu mehr nutze? In einem Paar Pantoffeln findet man zumindest noch einen Geruch und die Wärme zweier Füße. Die Pantoffeln mögen noch so zerschlissen und löchrig sein, sie erinnern dennoch daran, dass ein Mensch sie sich morgens, wenn er aufstand, anzog und sie abends, wenn er ins Bett ging, wieder auszog. Sollte dieser Vergleich jedoch nicht gelten, weil Pantoffeln immerhin Teil des Menschen sind und Kontakt zu seinen Füßen haben, führe ich hier andere Erinnerungen an: den Pflasterstein, die Haustür, ein bestimmtes Pfeifen, das Liedchen eines Straßenhändlers wie das des Cocada-Verkäufers, über das ich in Kapitel achtzehn berichtet habe. Als ich an dieses Liedchen dachte, überfiel mich eine solche Sehnsucht, dass ich auf die Idee kam, es von einem Freund, der Musiklehrer ist, niederschreiben zu lassen und diesem Kapitel anzuhängen. Wenn ich es schließlich doch nicht tat, so deswegen, weil ein anderer Musiker, dem ich es zeigte, mir unverblümt sagte, er finde in dem Stück nichts, was bei ihm Sehnsucht hervorrufe. Damit es anderen Musikern, die mein Buch vielleicht lesen, nicht ebenso ergeht, erspare ich dem Verleger lieber die Arbeit und die zusätzlichen Druckkosten. Du siehst, lieber Leser, ich habe nichts eingefügt und werde dies auch nicht tun. Inzwischen glaube ich nämlich, dass die Melodie eines Straßenverkäufers oder ein Büchlein aus dem Seminar Ereignisse, Menschen und Gefühle nicht wirklich vermitteln können. Wir müssen sie gekannt, müssen ihre Zeit miterlebt haben, sonst bleibt alles stumm und farblos.
    Aber kommen wir zu dem, was mir sonst noch aus diesen vergilbten Seiten entgegensprang.
    61
    Die Kuh des Homer 40
    Das Sonstige war eine ganze Menge. Ich sah die ersten Tage der Trennung aufsteigen, hart und düster, obwohl mich sowohl die Patres und die Seminaristen als auch meine Mutter und Onkel Cosme, deren Wort mir José Dias überbrachte, zu trösten suchten.
    «Alle vermissen dich», sagte er mir, «aber die größte Sehnsucht hat natürlich das edelste Herz. Und

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