Dom Casmurro
existiert. Aber es dürfte sie noch geben. Escobar hielt, was er versprochen hatte. Er aß mit uns zu Abend und verließ uns zur Nacht. Am Nachmittag gingen wir gemeinsam hinunter zum Strand oder machten einen Spaziergang im Passeio Público, wo er seine Rechnungen anstellte und ich meinen Träumen nachhing. Ich sah meinen Sohn schon als Arzt, Anwalt oder Kaufmann, steckte ihn bereits in verschiedene Universitäten und Banken und akzeptierte sogar die Möglichkeit, dass er Dichter würde. Ferner überlegte ich, einen Politiker aus ihm zu machen, und glaubte, dass er ein Redner würde, ein großer Redner.
«Schon möglich», erwiderte Escobar. «Von Demosthenes 69 hätte auch keiner gedacht, dass er einmal ein so großer Redner werden würde.»
Escobar ging stets auf meine kindischen Träume ein. Aber auch er machte sich Gedanken über die Zukunft. Er sprach sogar von der Möglichkeit, den Kleinen mit seiner Tochter zu verheiraten. Die Freundschaft gibt es wirklich, und sie lag zur Gänze in dem festen Händedruck, den ich Escobar nach diesen Worten zuteilwerden ließ, und in der Wortlosigkeit, mit der ich dieses Abkommen besiegelte. Die Worte kamen später, alle auf einmal, geläutert durch mein heftig klopfendes Herz. Ich nahm seine Idee an und schlug ihm vor, unsere Kinder durch eine gleiche und gemeinschaftliche Erziehung und eine gemeinsam verlebte glückliche Kindheit dorthin zu führen.
Eigentlich wollte ich Escobar zum Taufpaten des Kleinen machen. Taufpatin sollte und würde meine Mutter werden. Ersteres wurde jedoch durch Onkel Cosme vereitelt, der den Kleinen streichelte und zu ihm sagte: «Komm, lass dich von deinem alten Taufpaten segnen.»
An mich gewandt fügte er hinzu: «Das lasse ich mir nicht nehmen, aber er muss schnell getauft werden, damit meine Krankheit mich nicht vorher zu Fall bringt.»
Diese Geschichte erzählte ich ganz beiläufig Escobar, damit er mich verstünde und es mir nicht übelnähme. Er lachte und war nicht beleidigt. Er wollte sogar, dass die Tauffeier in seinem Garten stattfände. So geschah es. Ich versuchte zwar, die Zeremonie noch ein wenig hinauszuzögern; vielleicht fiele Onkel Cosme der Krankheit ja doch noch vorher zum Opfer, aber die schien ihn eher zu quälen als zu töten. Also blieb uns nichts anderes übrig, als den Kleinen zur Taufe zu tragen, wo wir ihm den Namen Ezequiel gaben. Das war Escobars Vorname, und auf diese Weise hoffte ich, die nicht erfolgte Patenschaft auszugleichen.
109
Ein einziger Sohn
Zu Beginn des letzten Kapitels war Ezequiel noch nicht einmal gezeugt; am Schluss war er bereits Christ und Katholik. Dieses Kapitel soll meinen Ezequiel nun bis in sein fünftes Lebensjahr führen. Er hatte sich zu einem hübschen Jungen entwickelt, dessen helle Augen damals schon so unstet waren, als wollte er mit allen oder zumindest fast allen Mädchen aus der Nachbarschaft anbandeln.
Wenn du nun bedenkst, lieber Leser, dass er unser einziger Sohn war, dass kein anderes Kind nachkam, weder tot noch lebendig, dann kannst du dir sicherlich vorstellen, wie sehr wir ihn umsorgten, wie sehr er uns den Schlaf raubte und welchen Schrecken uns das erste Zahnen oder derlei Dinge einjagten, das kleinste Fieber, alles, was in einem Kinderleben ganz normal ist. Wir waren stets für ihn da und taten, was nötig und dringlich war, das braucht nicht eigens gesagt zu werden, doch es gibt so begriffsstutzige Leser, die die Dinge erst verstehen, wenn man ihnen alles und auch noch den ganzen Rest darlegt. Kommen wir also zum Rest.
110
Kindheitsskizzen
Der Rest wird noch viele Kapitel verschlingen. Für andere Leben braucht man vielleicht weniger, und sie sind trotzdem vollständig und abgeschlossen.
Mit fünf oder sechs schien Ezequiel meine Träumereien am Strand von Glória nicht Lügen strafen zu wollen, im Gegenteil, man konnte sich alle nur denkbaren Berufungen bei ihm vorstellen, vom Müßiggänger bis zum Apostel. Müßiggänger meine ich hier im positiven Sinne, als Mensch, der nachdenkt und schweigt. Manchmal versenkte er sich nämlich in sich selbst, und dabei erinnerte er an seine Mutter, als diese klein war. Er konnte jedoch auch sehr lebhaft sein, zumal dann, wenn er den Nachbarsmädchen einreden wollte, dass nur die Süßigkeiten, die ich ihm mitbrachte, echte Süßigkeiten seien. Das tat er allerdings erst, nachdem er sich daran sattgegessen hatte. Die Apostel überbringen ihre Botschaft den Menschen ja auch erst dann, wenn sie sie gänzlich in ihren
Weitere Kostenlose Bücher