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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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gegenüber empfände. Aber selbst hierauf fand Capitu in ihrer feinsinnigen Art eine Antwort.
    «So sind die Schwiegermütter, das sagte ich dir doch bereits. Mama ist einfach eifersüchtig. Wenn sie das überwunden hat und Sehnsucht nach dir bekommt, ist sie bestimmt wieder die alte. Oder wenn sie ihren Enkel vermiss t …»
    «Aber ich habe festgestellt, dass sie sogar Ezequiel gegenüber schon so reserviert ist. Wenn ich ihn zu ihr mitnehme, scherzt sie gar nicht mehr mit ihm wie früher.»
    «Vielleicht ist sie ja krank?»
    «Wollen wir morgen mit ihr zu Abend essen?»
    «Ja, lass uns das tu n … Nei n … Doch, das machen wir.»
    Also aßen wir am nächsten Tag bei meiner alten Dame zu Abend. Inzwischen konnte ich sie getrost so nennen, auch wenn sie noch nicht gänzlich ergraut und ihr Gesicht noch immer recht frisch war. Es war die Jugendlichkeit der Fünfzigjährigen oder die Vitalität der Alten, eines von beide m … Schwermütig wirkte sie nicht; nur bei der Begrüßung und beim Abschied wurden ihre Augen leicht feucht. Allerdings beteiligte sie sich wenig an der Unterhaltung, aber auch das war nicht ungewöhnlich. José Dias sprach über die Ehe und ihre Schönheiten, über die Politik, über Europa und die Homöopathie, Onkel Cosme über seine Leiden und Base Justina über die Nachbarschaft oder über José Dias, wenn der gerade nicht im Zimmer war.
    Als wir am Abend zu Fuß nach Hause zurückgingen, kam ich wieder auf meine Zweifel zu sprechen. Capitu riet mir erneut, abzuwarten. Schwiegermütter seien nun einmal so, aber sie würden sich auch wieder ändern. In ihren Worten lag eine ungeheure Zärtlichkeit. Und fortan war sie noch liebevoller; sie erwartete mich auch nicht mehr am Fenster, um meine Eifersucht nicht zu schüren, doch wenn ich die Treppen hochstieg, sah ich oben zwischen den Gitterstäben des Portals das anmutige Gesicht meiner Freundin und Gattin, und es war so strahlend wie unsere Kindheit. Manchmal stand auch Ezequiel neben ihr. Da er es gewohnt war zu sehen, dass wir uns zur Begrüßung und zum Abschied küssten, tat er es uns nun gleich und bedeckte mein Gesicht mit Küssen.
    116
    Menschenkind
    Ich versuchte, aus José Dias eine Erklärung für das veränderte Verhalten meiner Mutter herauszubekommen, doch der zeigte sich überrascht. Es gebe nichts, und es könne auch gar nichts geben, so häufig, wie sie «die schöne und tugendhafte Capitu» preise.
    «Inzwischen stimme ich ebenfalls in die Lobeshymnen ein, doch anfangs war mir das recht unangenehm. Für mich, der ich mich gegen diese Hochzeit gestellt hatte, war es kein Leichtes, zugeben zu müssen, dass Capitu ein wahres Geschenk des Himmels ist. Zu was für einer ehrwürdigen Dame hat sich doch dieses ungestüme Kind aus der Rua de Matacavalos entwickelt! Ihr Vater stand zwar ein wenig zwischen uns, solange wir uns noch nicht kannten, aber dann hat sich alles zum Guten gewendet. Jawohl, wenn Dona Glória ihre Schwiegertochter und liebe Freundin lob t …»
    «Das tut Mama?»
    «Und ob!»
    «Aber warum hat sie uns dann schon so lange nicht mehr besucht?»
    «Ich glaube, ihr Rheuma macht ihr ziemlich zu schaffen. In diesem Jahr ist es ja auch sehr kal t … Es muss wirklich schlimm sein für sie, die früher den ganzen Tag nur auf den Beinen war. Jetzt ist sie gezwungen, ruhig neben ihrem Bruder zu sitzen, der ja selbst sein Päckchen zu tragen ha t …»
    Ich wollte noch anmerken, dass dies zwar erkläre, warum sie uns nicht mehr besuchte, aber nicht, warum sie so kühl war, wenn wir in die Rua de Matacavalos kamen. Doch dann zog ich es vor, die Vertraulichkeit mit dem Hausfreund nicht noch weiter zu treiben. José Dias wünschte unseren «kleinen Propheten» (so nannte er Ezequiel) zu sehen und ging wie immer liebevoll mit ihm um. Diesmal sprach er zu ihm in biblischer Sprache (er hatte am Vorabend den Propheten Hesekiel gelesen, wie ich später erfuhr) und fragte: «Wie geht es dir, du Menschenkind? Sag mir, du Menschenkind, wo sind deine Spielsachen? Willst du etwas Süßes essen, du Menschenkind?»
    «Was soll das für ein Menschenkind sein?», fragte Capitu leicht verärgert.
    «Das sind die Worte der Bibel.»
    «Sie gefallen mir nicht», antwortete sie schroff.
    «Du hast recht, Capitu», stimmte der Hausfreund zu. «Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie viele grobe und unflätige Ausdrücke sich in der Bibel finden. Ich wollte nur einmal auf andere Weise sprechen. Wie geht es dir, mein Engel? Mein Engel, zeig mir doch

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