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Dom Casmurro

Dom Casmurro

Titel: Dom Casmurro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquim Maria Machado de Assis
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dies sagte, was mich vermuten ließ, dass sie log, um mir keine Angst zu machen, doch sie schwor, dass es die reine Wahrheit war. Escobar lächelte und sagte: «Meine kleine Schwägerin ist so krank wie du und ich. Lass uns über die Widersprüche reden.»
    114
    Erklärt wird das Erklärte
    Bevor wir zu den Drittwidersprüchen kommen, wollen wir noch eine Sache erklären, die bereits erklärt wurde, indes nicht ausreichend. Du weißt, dass ich (in Kapitel 110) einen Musiklehrer aus São Paulo bat, mir das Liedchen des Süßwarenverkäufers aus der Rua de Matacavalos in Noten niederzuschreiben. Eigentlich ist das eine unbedeutende Sache, die kein eigenes Kapitel lohnt, und erst recht keine zwei, aber aus bestimmten Dingen lassen sich doch interessante, wenngleich nicht unbedingt angenehme Lehren ziehen. Erklären wir also das Erklärte.
    Capitu und ich hatten uns geschworen, dieses Liedchen nicht mehr zu vergessen. Das war in einem sehr zärtlichen Augenblick gewesen, und nur der Himmelsnotar, der diese Schwüre in seine ewigen Bücher einträgt, weiß, was in solchen Augenblicken geschworen wird.
    «Schwörst du?»
    «Ich schwöre», hatte sie gesagt und mit einer tragischen Geste den Arm erhoben.
    Ich hatte dies ausgenutzt, um ihre Hand zu küssen. Damals war ich noch nicht im Seminar. Als ich später in São Paulo studierte und mir die Melodie in Erinnerung rufen wollte, musste ich feststellen, dass ich sie schon fast vergessen hatte. Als sie mir schließlich wieder einfiel, eilte ich zu dem Musiklehrer, der mir den Gefallen tat, sie auf jenem kleinen Zettel niederzuschreiben. Ich tat dies, um den Schwur nicht zu brechen. Aber kannst du dir vorstellen, lieber Leser, dass ich mich an jenem Abend in Glória, als ich in meinen alten Papieren nach diesem Zettel kramte, selbst nicht mehr an die Melodie und den Text erinnerte? Ich tat nur so, als hätte ich den Schwur eingehalten, und das war meine Sünde. Was das Vergessen anbetrifft: Jeder von uns vergisst.
    Niemand kann mit Sicherheit wissen, ob er einen Schwur einhalten wird, liegt doch alles so weit in der Zukunft! Deswegen ist unsere politische Verfassung, die den Schwur in eine einfache Bestätigung umgewandelt hat, auch eine große moralische Errungenschaft. Sie hat dadurch eine schlimme Sünde abgeschafft. Ein Versprechen nicht einzuhalten, ist natürlich auch eine Illoyalität, doch ein Mensch, der Gott mehr fürchtet als die Menschen, wird eher zur Lüge greifen, als zu riskieren, dass seine Seele wegen eines nicht eingehaltenen Schwures ins Fegefeuer muss. Aber verwechselt das Fegefeuer bitte nicht mit der Hölle, die der ewige Schiffbruch ist. Das Fegefeuer ist ein Leihhaus, das kurzfristig und zu hohen Zinsen sämtliche Tugenden verleiht. Die Leihfristen können verlängert werden, bis irgendwann alle großen und kleinen Sünden mit Hilfe von ein bis zwei mittelgroßen Tugenden abbezahlt sind.
    115
    Zweifel über Zweifel
    Kommen wir nun zu besagten Drittwidersprüche n … Warum wir darauf kommen müssen? Gott allein weiß, wie schwer es mir fällt, darüber zu schreiben, geschweige denn zu reden. Zu der veränderten Lage, über die Escobar mir berichten wollte, kann ich nur das sagen, was ich damals ihm sagte, nämlich dass ich darin keine Verbesserung sähe.
    «Gar keine?»
    «Fast keine.»
    «Dann ist es aber doch eine Verbesserung.»
    «Sie untermauert unsere Argumente nicht besser als der Tee, den du jetzt mit mir trinken wirst.»
    «Für Tee ist es schon recht spät.»
    «Wir trinken ihn schnell.»
    Wir tranken ihn schnell. Escobar sah mich dabei misstrauisch an, als glaubte er, ich lehnte die veränderte Lage nur deswegen ab, um mir die Arbeit zu ersparen, sie schriftlich darzulegen. Doch eine solche Unterstellung passte nicht zu unserer Freundschaft.
    Als er gegangen war, erzählte ich Capitu von meinem Verdacht. Sie zerstreute ihn auf die ihr ureigene, sanfte und feinsinnige Art, mit der sie sogar Olympios Trauer 70 hätte aufheitern können.
    «Es war bestimmt wegen dieser Drittwidersprüche», sagte sie am Ende. «Wenn er um diese Uhrzeit eigens hierherkommt, beschäftigt ihn der Prozess sehr.»
    «Du hast recht.»
    Ein Wort gab das andere, und bald schon sprach ich von anderen Zweifeln, die ich mit mir herumtrug. Zu dieser Zeit war ich erfüllt von Zweifeln. Sie quakten in meinem Inneren wie lebendige Frösche und raubten mir zuweilen sogar den Schlaf. Ich sagte ihr, dass ich meine Mutter in letzter Zeit als ein wenig kalt und abweisend ihr

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