Dom Casmurro
mal, wie ich auf der Straße gehe.»
«Nein», unterbrach ihn Capitu. «Diese Angewohnheit, andere nachzuahmen, möchte ich ihm gerade abgewöhnen.»
«Aber das ist so niedlich. Wenn er mich und meine Bewegungen nachahmt, kommt es mir vor, als wäre er ich in Klein. Kürzlich hat er Dona Glória so wunderbar imitiert, dass sie ihm dafür einen Kuss gab. Zeig mal, wie ich gehe, ja?»
«Nein, Ezequiel», sagte ich, «die Mama will das nicht.»
Ich fand diese Manie auch unschön. Einige der nachgeahmten Bewegungen waren ihm schon so vertraut, als wären es die seinen. So bewegte er beispielsweise seine Hände und Füße genau wie Escobar. In letzter Zeit hatte er auch dessen Art angenommen, beim Sprechen den Kopf zu drehen und ihn beim Lachen zurückzuwerfen. Capitu schimpfte. Doch der Junge war ein widerspenstiges Teufelchen: Kaum sprachen wir von etwas anderem, sprang er mitten ins Zimmer und sagte zu José Dias: «So gehen Sie.»
Wir mussten unweigerlich lachen, ich mehr als die anderen. Capitu wurde als Erste wieder ernst und rief ihn mit Strenge zu sich heran: «Ich will das nicht, hörst du?»
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Enge Freunde
Zu der Zeit war Escobar bereits von Andaraí weggezogen. Er hatte sich ein Haus in Flamengo 71 gekauft, das ich mir erst vor ein paar Tagen noch einmal angesehen habe, weil ich ausprobieren wollte, ob die alten Gefühle schon gestorben sind oder nur schlummern. Ich kann es nicht genau sagen, denn im Schlaf, und insbesondere im Tiefschlaf, sind Lebende leicht mit Toten zu verwechseln, wären da nicht die leisen Atemzüge. An der Atmung spürte ich etwas. Sie wurde heftiger, aber das mag auch am Meer gelegen haben, das recht aufgewühlt war. Schließlich ging ich weiter, zündete mir eine Zigarre an und gelangte so nach Catete. Ich war die Rua da Princesa hochgestiegen, eine alte Straß e … O alte Straßen! O alte Häuser! O alte Beine! Wir werden allesamt alt, und zwar im schlechten Sinne von alt und hinfällig – das muss nicht eigens gesagt werden.
Alt ist auch Escobars Haus, aber ansonsten unverändert. Ich weiß nicht einmal, ob es noch dieselbe Hausnummer hat. Ich werde sie hier jedoch nicht nennen, damit ihr nicht loszieht und weitere Erkundigungen über meine Geschichte anstellt. Escobar wohnt nicht mehr dort und ist auch gar nicht mehr am Leben; er starb kurz nach diesen Ereignissen, auf eine Weise, von der ich gleich erzählen werde. Als er noch lebte, hatten wir, da wir so nah beisammen wohnten, im Grunde ein gemeinsames Zuhause: Ich lebte in seinem, er in dem meinen, und das Stück Strand zwischen Glória und Flamengo war für uns wie ein Privatweg. Es erinnerte mich an die beiden Häuser in der Rua de Matacavalos mit dem Mäuerchen dazwischen.
Ein Historiker unserer Sprache, ich glaube, es war João de Barros 72 , legt einem barbarischen König sanfte Worte in den Mund. Als die Portugiesen ihm vorschlugen, hier in der Nähe ein Fort zu errichten, soll der König gesagt haben, gute Freunde müssten fern voneinander wohnen und nicht dicht beisammen, damit sie sich nicht erzürnten wie das Wasser, das an diesem Ufer heftig gegen die Felsen schlug. Der Geist des Dichters möge mir verzeihen, wenn ich bezweifle, dass dieser König so etwas sagte, und auch, dass er mit seinen Worten recht hat. Vermutlich hat der Autor sie selbst erfunden, um seinen Text auszuschmücken, was ihm auch gelungen ist, denn er ist schön, wirklich schön. Ich glaube durchaus, dass das Meer damals gegen die Felsen schlug, denn das tut es seit Odysseus’ Zeiten oder gar noch länger. Aber ich glaube nicht, dass dieser Vergleich stimmt. Gewiss gibt es verfeindete Nachbarn, doch es gibt auch solche, die eng beisammen wohnen und Herzensfreunde sind. Und der Schriftsteller vergaß auch jenes Sprichwort (es sei denn, das gab es zu seiner Zeit noch nicht): Aus den Augen, aus dem Sinn. Wir hatten einander damals ständig im Sinn. Unsere Frauen lebten praktisch in beiden Häusern, und die Abende verbrachten wir mal hier, mal dort, plaudernd, spielend oder aufs Meer blickend. Und die beiden Kleinen verbrachten ihre Tage abwechselnd in Flamengo und in Glória.
Als ich einmal bemerkte, es könnte ihnen ergehen wie Capitu und mir, pflichteten mir alle bei, und Sancha fügte noch hinzu, dass sie sich bereits ähnlich sähen. Ich erklärte: «Nein, das liegt nur daran, dass Ezequiel immer andere Leute nachahmt.»
Escobar stimmte mir zu und äußerte die Vermutung, dass Kinder, die sich häufig sähen, einander irgendwann
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