Domfeuer
haben sie eigene Kontakte gesucht?«
»In Mailand.«
Ein Rumpeln ließ Konstantin herumfahren. Der erste Tunnel hatte nachgegeben. Ein tiefer Graben zog sich von seinem früheren Eingang bis unter die Sockelsteine des Chors, Rauch und Staub entstiegen dem Loch und warfen eine schmutzige Wolke empor. Noch immer hielt der Dom stand.
Irgendetwas stimmte nicht. Gerhard stand hoch oben im Turm der Kirche Sankt Mariengraden und schaute durch ein Fenster auf den nur einen Steinwurf entfernt liegenden Ostchor hinüber. Was er sah, gefiel ihm nicht. Zu viel Rauch. Jedenfalls schätzte er ihn als viel zu stark für die vier Tunnel ein. Doch woher sollte der Rauch kommen, wenn nicht von den Gängen, die Burkhart hatte graben lassen?
Gerhard presste die Kiefer zusammen. Burkhart müsste nun an seiner Stelle stehen und den Fortgang überwachen. Burkhart hätte gewusst, ob alles seine Richtigkeit hatte. Er hätte gewusst, was zu tun wäre. Aber Burkhart der Maulwurf war tot.
Im nächsten Augenblick erhielt Gerhard Gewissheit. Es stimmte in der Tat etwas nicht. Auch seitlich zwischen Dom und Römermauer, verborgen vor den Augen der Menschen auf dem gegenüber gelegenen Domhof, stieg nun eine gewaltige Rauchsäule auf. Doch war so weit am Schiff des Doms seines Wissens gar kein Luftschacht unter die Fundamente gegraben worden. Woher nur kam dieser Rauch?
Ruhig bleiben, nur ruhig. Noch war nichts Schlimmes geschehen, noch konnte er darauf vertrauen, dass Burkhart seine Arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen erledigt und auch abgeschlossen hatte. Im Augenblick konnte er nicht mehr tun, als von seinem hoch gelegenen Posten aus den Fortgang zu beobachten.
Noch immer hielt der Dom stand.
Dann schob sich ein gewaltiger Schatten über die Kathedrale und den Domhof.
Der Marienchor war fast zur Gänze in Rauchschwaden eingehüllt. Niemanden auf der Tribüne hielt es mehr auf seinem Platz, auch Erzbischof Konrad hatte sich erhoben, um das Schauspiel besser verfolgen zu können. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die erste Mauer brach und einstürzte.
Konstantin hatte dafür keinen Blick. Er stürmte die Treppe hinunter. Am Fuß der Tribüne lief er Roland beinahe in die Arme.
»Hier bist du«, sagte sein Amtsbruder. »Ich dachte schon, ich hätte dich verloren. Du warst auf einmal verschwunden.«
»Paulus’ Geschichte scheint zu stimmen«, sagte Konstantin. »Erst vor ein paar Monaten waren Gir, Mummersloch und Quatermart in Mailand.«
»Ja und? Weshalb mussten sie sterben?«
»Vielleicht haben sie Bruno und die anderen dort getroffen, und weil sie die Herren von Madras nun erkannt hätten, wurden sie aus dem Weg geräumt. Das ist jetzt aber auch unwichtig. Wichtig ist nur die Verbindung zu Mailand, die der Weise mir gerade bestätigt hat. Die Frage ist, wie wir nun vorgehen.«
Roland sah zur Tribüne hoch. »Bruno und der kräftige Enkel sitzen noch dort, und der zweite Enkelsohn ist mit dem Löwen ebenfalls noch da. Von ihnen droht erst einmal keine Gefahr.«
»Aber Nox ist nicht da.«
»Stimmt«, gab Roland zurück, der sich auf dem Platz umschaute. »Was mich aber noch mehr beunruhigt, ist, dass die Sänftenträger auch fort sind.«
»Die Mohren? Na und?« Konstantin reckte den Hals und sah sich ebenfalls um. Von den Mohren war nichts zu sehen.
»Denk nach. Wenn du den Schrein stehlen willst, benötigst du einen Haufen starker Männer, dazu noch einen Karren. Oder die Stangen einer Sänfte, auf denen du das Gewicht tragen kannst.«
Konstantin wäre am liebsten auf die Knie gesunken. Dass Roland ihm zur Seite stand, war ein Glücksfall. »Schnell, zum Atrium.«
Gerhard sah mit großen Augen zum Himmel hoch. Er war auf dieser Seite des Rheins so blau und wolkenlos wie all die Tage zuvor. Woher kam dieser riesige Schatten, der sich über die gesamte Kathedrale gelegt hatte? Nie im Leben konnten die Gewitterwolken aus dem Osten so schnell hierhergezogen sein.
Oder doch? Der Wind blies die Rauchfahnen weg. Eben noch waren sie dicht und schwarz gewesen, nun waren es nur noch graue Fetzen. Der Wind fegte sie stadteinwärts, fort vom Rhein. Er blies aus Ost. Der Wind hatte sich gedreht.
Gerhard fuhr herum und rannte zur anderen Seite des Glockenturms. Durch ein Gaubenfenster sah er auf den Rhein hinaus – und taumelte rückwärts.
Eine schwarze Wand schob sich auf Köln zu.
Der Dombaumeister schnappte nach Luft. Der Sturm zerzauste bereits die Bäume in Deutz, hob Blätter und Staub auf, knickte Zweige und warf
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