Domfeuer
aufmunternden Stoß in die Rippen. »Sie haben einen Vorsprung, mehr nicht.«
»Und was sollen wir deiner Meinung nach unternehmen? Sollen wir beide das Schiff stürmen? Schau dich um – hier finden wir keine Verstärkung.«
»Das sehen wir noch. Du rennst hinunter in den Hafen, ich besorge uns unterdessen wenigstens einen Helfer.«
Gerhard wischte sich entschlossen den Regen aus dem Gesicht. Er wollte sich nicht geschlagen geben. Noch nicht. Noch stand weit mehr als die Hälfte des Doms. Sie galt es zu retten. Den Dom – und seine Ehre.
Er rannte auf den Platz, mitten in die panische Menge, und suchte nach seinen Männern. Ein halbes Dutzend trieb er auf, immerhin.
»Holt Eimer und Wasser, wir müssen den Graben löschen, bevor das Feuer auf den ganzen Dom übergreift. Bringt Mistgabeln, was auch immer, und zieht damit die Glut auseinander. Werft Erde auf die Flammen, tut, was ihr könnt! Eilt euch!«
Während die Männer taten, was er ihnen aufgetragen hatte, suchte Gerhard nach weiteren Helfern. Nicht alle Menschen flohen vor dem Inferno. Manche standen wie gelähmt im Domhof und sahen zu, wie die Staubwolke eine Ruine freigab. Die Ruine einer Kirche, die vor wenigen Augenblicken noch der Stolz der Stadt gewesen war. Wen auch immer er fand, Gerhard sprach ihn an, rüttelte Greise und Frauen, flehte starke Männer und auch Hänflinge an. Bald hatte er eine kleine Mannschaft beisammen, die gegen das große Feuer ankämpfte.
Das Ringen blieb nicht unbemerkt. Immer mehr Menschen kamen herbei, schlossen die Eimerkette zum Brunnen der Kirche Mariengraden oder griffen mit bloßen Händen in den Staub und warfen ihn in das Feuer.
Doch es war vergebens. Die Feuerwand wuchs empor, und der Sturm fachte die Flammen wie ein gigantischer Blasebalg weiter an. Wieder fegte eine Böe durch die leckenden Feuerzungen und trug die Glut in das Kirchenschiff. Gerhard sah, wie die Funken in einem wilden Tanz in die Halle flogen. Und er sah, wie sie sich in der Balkendecke des Doms einnisteten.
Wie versteinert schaute Paulus durch sein Guckloch dem Geschehen auf dem Domhof zu. Das Unwetter wütete über den Mauern des Doms, aus denen noch immer Steine brachen und zu Boden fielen. Der Sturm hatte fast alle Menschen vom Platz gejagt. Es schien, als kämpften die Mächte des Himmels gegen die der Unterwelt. Wasser gegen Feuer. Paulus betete zur heiligen Barbara, der Schutzheiligen gegen Gewitter und Feuersgefahren. Dass jemand die Tür zu seiner Zelle geöffnet hatte, merkte er erst, als ihn der Büttel ansprach.
»Du bist frei«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Paulus fuhr herum. Der weißhaarige Büttel sah ihn mit ernstem Blick an. »Frei?«
»Ja, frei. Wir haben deine Angaben überprüft.«
»Was ist da draußen los?«
»Ich weiß es nicht. Es geht alles drunter und drüber. Mein Eindruck ist, dass beim Abbruch nichts so läuft, wie es geplant war. Aber genau deswegen benötigen wir deine Hilfe, denn du weißt, was gerade abläuft. Der Schrein ist gestohlen, und die Mailänder sind verschwunden, so wie du es vermutet hast. Du musst uns bei der Suche helfen.«
»Wir müssen zum Hafen. Zum Schiff. Sie werden fliehen wollen.«
»Konstantin ist bereits unterwegs. Geh ihm nach. Ich versuche derweil, ein paar Männer aufzutreiben, mit denen wir die Verfolgung aufnehmen können.« Der Büttel drückte ihm Nox’ Panzerbrecher in die Hand, den sie ihm in Henners Hurenhaus abgenommen hatten. »Den wirst du vielleicht brauchen können.«
Paulus wartete keine Sekunde und stürmte durch die Zellentür.
Sie gewannen den Kampf am Boden, die Brände in den eingestürzten Gängen waren nahezu erstickt. Jubel brach unter den Männern und Frauen aus, die im strömenden Regen Erde und Wasser auf die Flammen geschüttet hatten. Doch Gerhard wusste es besser. Sie verloren den Kampf an einem unerreichbaren Ort, hoch oben, unter dem Dach.
Er hatte den Flug der Funken beobachtet. Die Glutnester in den Balken wuchsen. Die Holzdecke lag unter dem schweren Bleidach des Doms, gut geschützt gegen den Regen. Die Glut fand willige Aufnahme im seit Jahrhunderten trockenen Holz, angefacht von den peitschenden Böen, die in die aufgebrochene Kirche fegten wie ein Heer von unheilbringenden Geistern.
Schon wuchsen die winzigen Glutpunkte zu züngelnden kleinen Flammen. Sie vermehrten und verbündeten sich, fraßen sich zum nächsten und übernächsten Balken und wurden doch immer hungriger, je mehr Nahrung sie bekamen. In Windeseile stand die ganze
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