Domfeuer
bereit, dich einem Gottesurteil zu unterziehen?«, fragte Konstantin.
Paulus schluckte. Er hatte noch kein solches Verfahren erlebt, aber doch davon gehört. Eine Wasser- oder Feuerprobe galt als letztes Mittel, um die Wahrheit zu ermitteln. Bei einer Wasserprobe musste der Beschuldigte entweder mit dem nackten Arm einen Ring aus siedend heißem Wasser fischen und nachweisen, dass sein Fleisch heilte und sich nicht entzündete. Oder aber er wurde gefesselt im Rhein versenkt – nur wenn er unterging, war seine Unschuld bewiesen. Die Feuerprobe war ähnlich hart. Der Angeklagte hatte ein glühendes Eisen mehrere Schritte weit zu tragen. Auch hier musste das Fleisch heilen und durfte sich nicht entzünden. Diese Gottesurteile waren so selten, wie sie umstritten waren. Kaiser Friedrich selbst, so hatte Paulus gehört, lehnte die Gottesurteile ab, weil sie seiner Ansicht nach fehlerhaft seien.
»Da ich die Wahrheit sage, habe ich nichts zu befürchten. Ja, ich stelle mich jeder Probe, die Ihr für mich auswählt.«
Erzbischof Konrad von Hochstaden und die drei Herren von Madras begrüßten sich mit aller gebotenen Höflichkeit. Sie tauschten Floskeln aus, bedachten sich mit Komplimenten und bewahrten formvollendet Haltung. Zu dem Löwen, den der schmächtige Mann mit Namen Guido an der Kette führte, hielt der Erzbischof respektvoll Abstand.
»Ihr müsst eine weite Reise hinter Euch haben«, sagte Konrad und bat seine Gäste mit einer Handbewegung, auf der Tribüne Platz zu nehmen. Bruno und Otto folgten seiner Einladung, Guido blieb mit dem Löwen am Fuß des Holzgerüstes.
Mühsam ließ Bruno sich auf einen Sitzplatz sinken. Die Hilfe, die Otto ihm anbot, lehnte er ab. »Drei Jahre und drei Tage sind wir unterwegs – und glücklich, doch noch rechtzeitig vor dem Abbruch dieser wundervollen Kirche eingetroffen zu sein«, erwiderte er.
Konrad setzte sich neben Bruno. Sein Blick fiel auf mehrere Männer des Dombaumeisters, die sich vom Marienchor zurückzogen. Nur Gerhard und einige Werkmeister, die Fackeln in der Hand hielten, blieben zurück. Sie waren bereit. »Sie wird einem noch wundervolleren Bau weichen. Die Kirche, die wir errichten wollen, wird ein Wunderwerk.«
»Das wird sie gewiss, Eminenz. Was gäbe ich darum, sie vollendet zu sehen. Doch schaut mich an. Ich werde vielleicht gar nicht einmal die Grundsteinlegung erleben.« Als Konrad zum Trost die Hand auf seinen Unterarm legte, zog Bruno ihn zurück. Er stöhnte leise, als er sich auf seinem Platz zurechtsetzte. Er schien keine bequeme Position zu finden.
»Ihr seid ein großzügiger und gerechter Mann, Bruno von Madras. Der Herr wird Euch einen Blick auf unser Gotteshaus gewähren. Dessen bin ich mir sicher.« Konrad räusperte sich. »Ihr sprecht unsere Sprache ganz ausgezeichnet.«
Bruno deutete eine Verbeugung an. »Ich danke Euch, Eminenz, doch das Lob gebührt Kaufleuten und Pilgern, schlicht allen Reisenden, die den weiten Weg in unser Land gefunden haben. Weil mein Sehnen von jeher danach trachtete, die Grablege der Heiligen Drei Könige aufzusuchen, habe ich begierig ihre Worte aufgesogen, bis ich in Eurer Zunge sprechen konnte.«
»Und das Lateinische beherrscht Ihr auch?«
»Von Kindesbeinen an.«
»Dann darf ich Euch mit Stolz verraten, wie die Kölner schon seit einiger Zeit den Dom nennen, der hier entstehen wird – Summum.«
»Summum – das Höchste?«, gab Bruno zurück.
Konrad nickte. »Das Höchste. So ist es.« Er wandte den Blick wieder Gerhard und dem Dom zu. Gleich würde er das Signal geben.
Konstantin und Roland blieben auf dem Gang. Konstantin stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf. »Was hältst du von der Geschichte?«
In Rolands Gesicht wölbten sich nun beide Augenbrauen. »Sie ist verrückt.«
»Verrückt, ja. Aber doch zu verrückt, um erfunden zu sein.«
»Jedenfalls ist sie trotz ihrer Verrücktheit stimmig. Das muss man dem Jungen lassen. Und er wäre bereit, sich einem Gottesurteil zu unterziehen. Er meint es ernst.«
Konstantin wedelte mit dem Zeigefinger. »Nein, ganz stimmig ist sie nicht. Ein paar Fragen bleiben offen. Warum sind Pech und Reisig an Bord des Schiffes?«
»Sagtest du nicht, auf der Dombaustelle sei Reisig gestohlen worden?«
»Das Schiff ist doch erst gestern spät am Abend angekommen. Die Diebstähle geschahen aber schon seit vielen Wochen. Und überhaupt – Reisig erhältst du günstig auf dem Holzmarkt. Das brauchen die Herren von Madras gewiss nicht stehlen
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