Domfeuer
Besseres zu tun haben, als nach Schiffen Ausschau halten?«, rief der Ältere der beiden ihm zu. Die Gäste auf dem Boot, eine wohlhabende Familie mit vier weinenden Kindern, mühten sich, trotz des Schwankens heil an Land zu kommen.
Konstantin reichte der Mutter die Hand und half ihr aus dem Boot. »Ich will nur wissen, wo es hin ist.«
Der Fischer zog kräftig am Tau. »Ich hab nicht gesehen, wie es abgelegt hat«, gab er zurück. »Aber wo soll es schon hin sein? Etwa den Fluss hinauf?«
Konstantin hob ein Kind nach dem anderen auf den Kai. Der Fischer hatte recht. Das Schiff musste flussabwärts gefahren sein, denn die niedrige Rinne am oberen Rhein konnte nur von den flachen Oberländern befahren werden. Und Treidler, die Schiffe den Rhein hinaufzogen, gab es im unteren Teil des Hafens nicht. Er lief los und hoffte, schnell ein Pferd auftreiben zu können.
Paulus lief bis zur Kante der Hafenmauer und blickte den Rhein hinab. Nicht einmal die Mastspitze der Kogge war am regenverhangenen Horizont zu sehen.
»Du schaust in die falsche Richtung«, rief plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Paulus fuhr herum. Hinter gestapelten Fässern trat Jenne hervor. Der Regen hatte sie bis auf die Haut durchnässt.
»Jenne!«, brüllte er gegen den Sturm an. »Gott sei Dank. Ich dachte schon, ich hätte auch dich verloren.«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich wusste nur nicht, was ich machen sollte, als sie dich abgeführt haben. Also hab ich mir gedacht, ich lege mich hier auf die Lauer und sehe, was Nox und die Herren treiben.«
»Und?«
»Sie sind eben mit der Sänfte zurückgekehrt und haben unverzüglich abgelegt. Wie konntest du entkommen?«
»Ich bin nicht geflohen. Die Büttel haben mir geglaubt und mich laufen lassen. Sie suchen nun Nox und die Herren von Madras, und ich soll ihnen helfen. Hast du den Dreikönigenschrein gesehen?«
»Nein.«
»Sie haben ihn gestohlen.«
»Das schwere Ding? Wie haben sie das denn angestellt? Und wohin haben sie ihn geschafft?«
»Wenn du es schon nicht gesehen hast, woher soll ich es dann wissen?«
Jenne hob den Zeigefinger. »Warte. Dieser alte Mann, der sonst immer in der Sänfte gesessen hat – er ist zu Fuß aufs Schiff gegangen. Und trotzdem hatten die Träger arge Mühe, die Sänfte an Bord zu bekommen.«
»Das ist es.« Paulus schlug mit der Faust in die flache Hand. »Hinter den Vorhängen haben sie den Schrein versteckt.« Er dachte kurz nach. »Was hast du eben gemeint damit, als du gesagt hast, ich schaue in die falsche Richtung?«
»Na, dass sie rheinaufwärts gefahren sind.«
»Was? Sie sind den Fluss hinauf? Wie das?«
»Nachdem sie die Leinen losgemacht hatten, ist das Schiff tatsächlich erst den Rhein hinabgetrieben. Aber dann haben sie das Segel gesetzt und gewendet.«
Paulus staunte nicht schlecht. Doch in der Tat, der Wind hatte sich wieder gedreht und kam wie gewohnt aus Westen – gerade gut für ein solches Manöver, das gleichwohl völlig unüblich war. Niemand verließ sich auf den Wind, wenn er flussaufwärts wollte. Weit würden sie nicht kommen. Bei Porz machte der Rhein eine Kehre nach rechts. Dann wäre es vorbei mit einer Fahrt unter Segeln.
»Jenne, hör zu – hast du die beiden Büttel gesehen, die mich in Henners Haus festgenommen haben?«
Sie nickte. »Einer jung, einer alt. Der Jüngere war eben hier und ist den Rhein hinabgelaufen.«
Paulus fluchte. »Der Ältere der beiden wird gleich hier im Hafen mit ein paar Männern auftauchen. Du wartest auf ihn und erzählst ihm alles. Ich versuche, das Schiff zu finden.«
»Du? Allein?« Jenne grinste.
»Ja, allein dieses Mal.«
Paulus rannte wie ein durchgehendes Pferd und hatte doch das Gefühl, keinen Schritt voranzukommen. Die nassen Kleider klebten schwer auf seiner Haut. Er glaubte, mit Blei behangen zu sein. Immer wieder wischte er sich Regentropfen aus der Stirn.
Er ließ die Stadtgrenzen hinter sich und lief den Knüppeldamm entlang, auf dem die Treidelpferde Schiffe den Rhein hinaufziehen konnten. In diese Richtung war kein Kahn unterwegs, nur den Fluss hinab fuhren ein paar Schiffer. Rechts, auf einem Acker im Süden vor der Stadt gelegen, stand der Galgenbaum. Noch vor ein paar Stunden hatte Paulus sich selbst vor seinem geistigen Auge auf der Richtstätte baumeln sehen. Nun erst ging ihm auf, dass er von allem Verdacht reingewaschen war. Die Büttel glaubten ihm. Doch wollte er alles daransetzen, Nox und den anderen Gaunern das Handwerk zu legen. Nur so
Weitere Kostenlose Bücher