Domfeuer
rheinabwärts gefahren sind.«
»Keine Sorge. Nach dem Erlebnis auf dem Schiff vorige Nacht bin ich die Erste, die dich zurückhält, solltest du auf dumme Gedanken kommen.«
Sie hielten sich nun abseits des Pfads und ritten mitten durch einen Weinhang. Kurz bevor sie das Ufer erreichten, stiegen sie ab und ließen die Pferde laufen. Die beiden Stuten trotteten gleich los. Sie hatten den Rhein gewittert und suchten den Treidelpfad, der sie zur nächsten Futterkrippe im Dorf leiten würde.
Paulus und Jenne folgten ihnen bis zum Ufer, doch von dort gingen sie nur wenige Schritte weiter den Rhein hinauf. Als sie eine gute Sicht auf das Dorf und das Schiff hatten, schlugen sie sich in die Büsche und stiegen einen kleinen Hügel hoch. Ihnen bot sich ein seltsamer Anblick. Das riesige Schiff wirkte fehl am Platz auf dem Fluss. Neben ihm schienen die winzigen Fischerhütten noch kleiner zu sein, als sie ohnehin schon waren. Es war, als hätte die Besatzung zu einer Reise übers offene Meer in See stechen wollen, sich aber in einen Bach verirrt. Oder zu einem Zwergendorf.
»Da vorn«, sagte Jenne. Mit großen Augen sah sie zum Fluss hinunter.
Paulus blickte in die Richtung, in die sie zeigte. Hinter dem Kriegsschiff lag ein zweites Schiff. Ein Oberländer. Das hohe runde Heck schaute nur ein wenig hinter den Aufbauten des anderen hervor. Die beiden Schiffe lagen ganz dicht nebeneinander, Bauch an Bauch. Paulus vermutete, dass sie miteinander vertäut waren. Das machte man etwa dann, wenn die Fracht des einen Schiffes auf das andere geladen werden sollte.
Paulus flüsterte, als fürchtete er, die Besatzung könnte ihn auf diese Entfernung hören. »Sie wechseln das Schiff.«
Konstantin zog die Zügel an. Der gesamte Reitertrupp hielt. Mit besorgter Miene blickte er den Rhein hinab. Das flache Land mit den niedrigen Büschen ermöglichte einen weiten Blick. Von dem Schiff war nichts zu sehen.
»Wir kehren um«, sagte er.
Roland brachte sein Pferd neben dem Konstantins zum Stehen. Mit sechs bewaffneten Reitern hatte er vor einigen Meilen zu Konstantin aufgeschlossen. Als er das Schiff im Hafen nicht mehr vorgefunden hatte, war Roland sofort klar gewesen, dass es den Rhein hinuntergefahren sein musste. »Das wollte ich gerade auch vorschlagen.«
Konstantin tätschelte den verschwitzten Hals seines Fuchses. »Ich verstehe es nicht. Wir hätten sie längst einholen müssen. So groß war ihr Vorsprung nicht.«
»Vielleicht haben sie uns irgendwie hinters Licht geführt. Ich wundere mich, dass niemand das Schiff gesehen hat.«
»Und ich frage mich, ob wir nicht in größerem Maße hereingelegt worden sind, als wir uns das erträumen können.« Konstantin sah Roland an. Er fürchtete, einen schweren Fehler begangen zu haben. »Was, wenn du einen Mann freigelassen hast, der uns diese schöne Geschichte nur deshalb erzählen konnte, weil er selbst eingeweiht war?«
Roland schüttelte sein graues Haar. »Du hast Paulus gesehen, als wir bei seiner toten Mutter waren. Er hat sich verhalten, als hätte ihn der Schlag getroffen. Das kann er nicht gespielt haben.«
Konstantin musste Roland zustimmen. So viel Schauspielkunst war dem Jungen nicht zuzutrauen. »Herrgott, wo ist dieses verfluchte Schiff?«, schrie er. »Sie können doch nicht weggeflogen oder den Rhein hinaufgefahren sein.«
»Das könnten sie wohl«, rief da einer der Reiter.
Konstantin wandte sich im Sattel um. »Was sagst du da?«
Der junge Mann war der Sohn eines nur mäßig erfolgreichen Kölner Kaufmanns, der im Englandhandel tätig war. Er blickte Konstantin schüchtern an. »Ihr sagtet, das Schiff könne nicht den Rhein hinaufgefahren sein. Das stimmt nicht.«
»Erklär dich, Junge.«
»Das Schiff hat zwar seltsame Aufbauten, aber es ändert nichts daran, dass es eine Kogge ist. Diese Schiffe befahren zu Hunderten oder gar Tausenden die Nordmeere. Ich habe viele davon gesehen, als ich meinen Vater bei seinen Handelsreisen begleitet habe. Sie haben keinen großen Tiefgang. Mit ihrem flachen Bauch legen sie nicht nur in Häfen an, sondern steuern bei Flut auch seichte Ufergebiete an und lassen sich trockenfallen, um Waren zu liefern oder an Bord zu nehmen. Man nennt sie deshalb auch Schlickrutscher. Wenn es nun der Besatzung mit der Hilfe eines Lotsen oder auch nur ein wenig Glück gelungen ist, die Stümpfe der alten Römerbrücke zu passieren, könnten sie noch ein gutes Stück rheinaufwärts zurückgelegt haben. Der Wind hat gedreht. Sie könnten
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