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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Vlaminck
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rang. Dass er nun vielleicht Dinge sagen würde, die er lieber für sich behalten wollte. Nox nutzte den Augenblick des Schweigens, um sich neben seinen Herrn zu stellen und noch ein Stück näher auf Paulus und Jenne zuzugehen.
    »Es stimmt, die Unterwerfung meiner Heimat habe ich nicht erlebt«, sagte Bruno bedächtig. »Aber ich habe das Elend erlebt, das daraus entstanden ist. Mein Vater hat die Belagerung überlebt, jedoch seine geliebte Frau und drei Kinder an den Hunger verloren. Sein viertes und letztes Kind trug er, selbst nur noch Haut und Knochen, nach der Vertreibung aus den Stadtmauern viele Meilen weit, um es dann doch in seinen Armen sterben zu sehen. Die kleine Giulia war gerade einmal zwei Jahre alt, als sich ihre Augen für immer schlossen. Niemand hat damals nach Schuld oder Unschuld gefragt.«
    Paulus blickte betreten zu Boden. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Jenne sich ebenso verhielt. Auf Brunos Worte vermochte er nichts zu entgegnen. Das war wohl auch besser so. Bruno gab mehr preis, als Paulus von einem Mann eines solchen Standes erwartet hätte.
    »Ich kam zehn Jahre nach dem Fall Mailands zur Welt«, fuhr Bruno fort. »Mein Vater hatte wieder geheiratet, er hatte es auch wieder geschafft, als Kaufmann zu einem kleinen Besitz zu kommen. Aber er hat sich nie von dem Schicksalsschlag erholt. Ich habe meinen Vater nie lachen sehen. Er war in seinen besten Jahren und doch ein gebrochener Mann. Als ich sieben Jahre alt war, rief er mich zu sich. Es war das traurigste Gespräch, das ich je mit ihm geführt habe. Und es war das letzte. Er sagte, er spüre seinen Tod nahen. Es sei für ihn an der Zeit, zu seiner ersten Frau und meinen toten Halbgeschwistern zu gehen. Er nahm mir ein Gelübde ab. Ich müsse unsere Familie rächen. Es dürfe nicht ungesühnt bleiben, was den Viscontis und unserer Heimat angetan wurde. Ich solle nicht ruhen, bis die Heiligen Drei Könige wieder ihren Platz in der Kirche Sant Eustorgio einnehmen. Und ich solle alles daransetzen, die Heimat Rainalds von Dassel zu zerstören, so wie einst unser Mailand zerstört worden war. Ich leistete einen heiligen Eid, dass ich bis zu meinem letzten Atemzug alles geben würde, um zu tun, was er von mir verlangte.«
    Mit beiden Händen fuhr sich Jenne durchs Haar. »Das ist doch Irrsinn. Das kann man doch von einem Jungen nicht fordern.«
    »Ich war ein Kind. Für mich war es eine Selbstverständlichkeit, eine ganze Stadt, ja vielleicht sogar das ganze deutsche Reich herauszufordern. In der Nacht nach unserem Gespräch lag ich lange wach, fasste Pläne und sah mich bereits mit deutschen Rittern kämpfen. Am nächsten Morgen wollte ich noch einmal mit meinem Vater reden. Doch er war am Abend zuvor eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.«
    Paulus schüttelte den Kopf. »Ich kann den Schmerz Eures Vaters und seine Rachegelüste verstehen. Aber er hätte niemals seinem Kind eine solche Last aufbürden dürfen. Solch ein Versprechen abzuverlangen, verstößt gegen alle guten Sitten und gegen jeden Verstand. Es war  sein  Hass. Nicht Eurer.«
    »Vielleicht hast du recht. In der Tat habe ich viele Jahre nicht mehr an mein Gelübde gedacht. Ich habe es schlicht verdrängt. Aber Mailand hat sich zu neuer Blüte erhoben. Und ich sah, wie stolz es einmal gewesen sein musste. Ich begann, den Zorn meines Vaters zu begreifen. Ganz langsam sprang er auf mich über, immer mehr machte ich seine Sache zu meiner. Als sich mit den Jahren wieder zarte Handelsbande mit den deutschen Landen entwickelten, erfuhr ich dann, wie es um die Stadt Köln stand. Ich hörte von ihrem Ruhm und ihrem Reichtum, von ihren Heiligen wie den elftausend Jungfrauen, und ich erfuhr, welche Bedeutung die Heiligen Drei Könige für die Stadt hatten. In mir wuchs die Erkenntnis, dass ich ein anderes Leben hätte führen müssen. Eines, wie es mir und meiner Familie nur die Heiligen Drei Könige hätten ermöglichen können, wenn sie denn in Mailand geblieben wären. Und mit der Erkenntnis, dass uns mit den Gebeinen das Wohl unserer Stadt gestohlen worden war, wuchs auch der Zorn in meinem Herzen.«
    »Es ging Euch doch offenbar gut«, warf Paulus ein. »Ihr hättet es dabei bewenden lassen können.«
    »Hätte ich das? Nein, ein Gelübde ist ein Gelübde. Zwar ist es mir gemeinsam mit zwei Onkeln gelungen, das Geschlecht der Viscontis wieder groß zu machen und neben die verhassten Torrianis zu rücken. Doch meine Bestimmung sollte eine andere sein. Mit den Jahren kehrte

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