Domfeuer
Rhein erhellte. Paulus und Jenne kämpften dort um das Achterkastell. Das konnte Barthel selbst von seiner kauernden Stellung neben Bärbel erkennen. Das Segel brannte lichterloh, sogar von den Bordwänden schlugen die Flammen in den dunklen Himmel.
Barthel trat neben Konstantin. »Oh mein Gott, das darf doch nicht wahr sein.«
»Keine Sorge. Sie ist weit genug weg. Erst wenn sie plötzlich stehen bleiben und uns den Weg versperren würde, wären wir in Schwierigkeiten.«
Der Büttel hatte ja keine Ahnung. Die Kogge erreichte gleich jene Stelle im Rhein, an der die Reste der alten Brücke bis unter die Wasseroberfläche reichten. »Büttel, Ihr versteht nicht. Das Schiff wird jeden Moment stehen bleiben. Paulus weiß genau, was er tut.«
Im nächsten Augenblick schallte ein grässliches Ächzen zu ihnen herüber. Die Kogge neigte sich weit zur Seite und schleuderte bei ihrer seltsamen Verbeugung Funken hoch in die Nacht hinaus. Als sie sich aufrichtete, ging wieder ein Funkenregen nieder. Dann blieb sie mit leichter Schlagseite liegen.
Das Mühlenschiff trieb rasch auf das brennende Wrack zu. Vom Wind aufgewirbelt, wehte eine Mehlfahne auf den Fluss hinaus.
Konstantin und Barthel sahen einander an. Sie waren beide weiß vom Mehlstaub.
Hinter ihnen stieß Bärbel einen markerschütternden Schrei aus. »Jetzt leg mir doch endlich einen Sack unter den Kopf, du verdammter Trottel von einem Ehemann.«
Der Aufprall holte Nox im richtigen Augenblick von den Füßen, just bevor er Paulus’ Schulter packen konnte. Wie ein zusammengerollter Igel kugelte er über das kippende Achterkastell. Gemeinsam mit Jenne und Paulus landete er auf der Backbordseite im Geländer. Als das Schiff sich mit einem ohrenbetäubenden Knirschen neigte, kamen sie dem Wasser so nahe, dass sie fast danach hätten greifen können. Noch während die Kogge mit Schwung in eine aufrechte Position zurückkehrte, streckte Nox beide Hände nach Paulus und Jenne aus – und griff ins Leere. Eines seiner Beine hatte sich im Geländer verfangen, Nox kam nicht von der Stelle. An Deck herrschte Chaos. Die Mohren waren gestürzt, und der Körper des schwer verletzten Bruno war gegen die Bordwand gerutscht. Seine Enkel robbten hinterher und versuchten, ihm zu helfen. Blut schoss aus einer Wunde an Brunos Kopf, er war kreidebleich. Paulus konnte sich nicht vorstellen, dass der alte Mann den unglücklichen Sturz überleben würde.
»Auf, auf, komm schon«, rief Paulus und half Jenne auf die Füße.
»Was war das?«
»Die Pfeilerreste der alten Brücke nach Deutz haben die Kogge gestoppt. Sie ist hängen geblieben, aufgelaufen.«
Auf allen vieren krabbelte er das nun schräg liegende Deck hoch und zog Jenne hinter sich her. An der Bordkante angekommen, sah er auf den Fluss hinunter. Die Summus rauschte heran. Im flackernden Licht des Feuers entdeckte Paulus die Gesichter von Barthel und des jüngeren Büttels, diesem Konstantin. Und er sah die sich vor Schmerzen krümmende Bärbel. Sie musste in den Wehen liegen, ausgerechnet jetzt.
»Springt! Ihr müsst springen!«, brüllte er ihnen zu.
Er fuchtelte wild mit den Armen, doch Barthel hatte schon begriffen, was zu tun war. Er lief zu Bärbel und hob sie hoch. Der Büttel hingegen kletterte wieder aufs Dach des Mühlhauses. Er packte zwei aufgeschlitzte Mehlsäcke, sichtlich entschlossen, ihren Inhalt auszuschütten. Paulus wusste, was das bedeutete. Er hatte Barthel oft genug fluchen hören, wenn Ulf Mehlsäcke aufschüttelte und eine Kerze in der Nähe war.
»Und wir?«, fragte Jenne, die neben Paulus an der Brüstung stand.
»Wir müssen auch springen, jetzt.«
»Nur über meine Leiche.«
Die Stimme kam von hinten. Nox hatte sich aus dem Geländer befreit und kroch das Deck hoch auf sie zu, mit Hass in den Augen. Paulus fasste Jenne an der Hand und zog sie ein paar Schritte weg. Von der einen Seite flog die Summus heran, von der anderen Nox.
»Versuche, so lange wie möglich unter Wasser zu bleiben. Hast du mich verstanden? So lange wie möglich. Halte die Luft an.«
Jenne nickte. Dann sprangen sie Hand in Hand über die Heckbrüstung. Paulus spürte noch eine Hand an seinem Hemd, doch Nox bekam ihn nicht mehr zu fassen. Im Fallen sah er die Summus, kurz bevor sie gegen die Kogge prallte. Sie landeten im kalten Rheinwasser und tauchten ein.
Als die Mühle in den brennenden Rumpf krachte, wirbelte das Mehl zu einer großen Wolke auf. Sie schaffte es nicht mehr, die Kogge einzuhüllen – das Feuer
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