Domfeuer
herabzubeugen. Zögerlich kam sie der Forderung nach. Grob fasste Pieter ihre Hände und warf sie neben sich auf das Bett. Ein letztes Mal griff er zum Wein und trank gierig.
»Du … du machst mich so schwach«, flüsterte Pieter, nachdem er den Becher abgesetzt hatte. Wein rann über sein Kinn, und als er schwer auf Jenne sank, fielen rote Tropfen auf ihr weißes Hemd.
Paulus hätte schwören können, dass der Unbekannte aus dem Nichts aufgetaucht war. Sie hatten lange vor dem Schiff gestanden, und wenn dieser Baum von einem Kerl in der Menge gewesen wäre, hätte er ihn bestimmt bemerkt, nicht nur der Größe wegen. Unter einem langen schwarzen Mantel steckte unverkennbar ein Mann, der den Gebrauch seiner Muskeln gewohnt war. Hätte er eine Rüstung getragen, dann gäbe er einen trefflichen Kriegsherrn ab, den seine Gegner fürchten mussten.
»Nun, was ist? Wollt Ihr Euch eine schnelle Münze verdienen oder nicht?«
Der freundliche Klang der Stimme passte gar nicht zur Erscheinung des Mannes. Paulus’ Misstrauen war geweckt. »Verzeiht, Herr, aber ich habe Euch gar nicht kommen sehen.«
Der Unbekannte schmunzelte, und auch das wirkte befremdlich. Die weiche Miene passte schlicht nicht in das kantige Gesicht. »Das höre ich öfter. Was ist nun?«
»Was müssten wir dafür tun?«, fragte Barthel.
»Nur eine kleine Gefälligkeit. Ich brauche einen Führer, der mich zu drei vermutlich sehr bekannten Kölner Häusern bringt. Einer von Euch sollte gewiss genügen«, sagte er und sah dabei Paulus an.
Barthel nickte und hob die Hand zum Abschied. »Das fügt sich gut, denn ich habe zu tun. Ich empfehle mich. Guten Abend.«
»Barthel!«, rief Paulus. »Denk noch mal darüber nach. Du weißt schon …«
Sein Bruder nickte, winkte und verschwand schnellen Schrittes durch das Stadttor. Paulus folgte Barthel mit dem Unbekannten. Als sie durch das Tor die Stadt betraten, befanden sie sich am Fuß der Trankgasse, die den Domhügel hinaufführte. Oben stand die Stiftskirche Mariengraden, dahinter erhob sich wie eine Trutzburg der mächtige alte Dom. Dank seines weißen Putzes war er auch in der Dunkelheit gut zu erkennen. Wie unerschütterliche Wächter schauten die drei hoch gebauten Rundtürme des Ostchores auf den Rhein hinaus. Ein beeindruckendes Bild. Paulus wusste, dass es auf Auswärtige wirkte.
»Ihr kommt aus den Niederlanden, nicht wahr?«
Der Mann hob eine Augenbraue. »Verrät mich mein Zungenschlag?«
Paulus nickte. »Ich wette, Ihr habt im Leben noch kein annähernd so schönes Bauwerk wie unseren Dom gesehen. Und wisst Ihr was? Uns Kölnern ist diese Kirche noch nicht schön genug. Wir bauen einen neuen Dom.«
»Ach was …« Der Fremde klang eher gelangweilt. Oder belustigt. Paulus vermochte es nicht zu deuten. »Und was macht ihr mit dem alten? Verkaufen?«
Wollte der Mann ihn veralbern? »Niederbrennen«, sagte Paulus trotzig. »Jedenfalls zum Teil. Übermorgen schon beginnen die Werkmeister damit, ihn niederzulegen. Der Marienchor, den Ihr von hier unten sehen könnt, wird als Erstes dran glauben müssen. Später, wenn der neue Dom im Bau ist, folgen dann weitere Teile.«
»Ach was …«
Paulus fühlte sich nicht wohl an der Seite dieses Mannes. Er verspürte immer weniger Lust, den Fremdenführer zu geben. »Hört zu«, sagte er, »ich freue mich über Euer Angebot, aber es ist spät. Kann das nicht bis morgen warten?«
Wieder erschien solch ein aufgesetztes Schmunzeln im Gesicht des Fremden. »Nein, kann es nicht. Aber vielleicht vermag dies hier deine Unentschlossenheit aus der Welt zu schaffen.«
Der Wechsel in den vertraulichen Tonfall steigerte Paulus’ Unbehagen. Doch die Münze in der Hand des Fremden machte ihn neugierig. Er nahm sie und hielt sie näher an eine der Fackeln, die in den mächtigen Mauern des Trankgassentores steckten. Das kleine Geldstück ließ Paulus staunen. Er hatte eine solche Münze noch nicht in der Hand gehabt, sehr wohl aber in Jobsts Beutel gesehen. Ein Silbergroschen. Paulus wusste nicht, wie viele Denare dieser Groschen wert war, wenigstens sechs aber bestimmt. Er hielt gerade den Lohn für mehrere Tage harter Arbeit im Hafen in der Hand. Wo die Münze geprägt worden war, konnte Paulus nicht erkennen. Die eine Seite zeigte ein Kreuz, die andere einen Bischof oder Heiligen. Jedenfalls war es keine Kölner Münze. Doch das war einerlei. Viele Währungen galten in Köln. Wichtig war nur, dass das Gewicht stimmte.
»Und dafür soll ich Euch lediglich
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