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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Vlaminck
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Haut. »Ich will das nicht«, zischte er dem Fremden zu.
    »Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd, Bürschchen. Wer weiß, vielleicht warnt sie dich vor mir, weil ich ein Halsabschneider bin? Dann hätte ich dir doch den größten Gefallen deines Lebens getan.«
    Er lachte mit kehliger Stimme. Paulus sehnte sich das Ende dieses Auftrags herbei.
    Kassandra kehrte mit einer flachen tönernen Schüssel wieder. Darin dampfte ein dunkelrotes Stück Fleisch. Nur der Teufel wusste, wie sie so schnell eine frische Leber hatte auftreiben können. Sie hockte sich wieder hin und stellte die Schüssel in die Mitte des Sitzkreises.
    »Nennt mir Eure Namen.«
    Die Stimme des Fremden klang noch dunkler als zuvor. »Freunde und Feinde rufen mich Nox.«
    Der Name passte, er war so düster und kalt wie sein Träger. Paulus starrte auf die Leber. Hoffentlich war dieses Possenspiel bald vorbei.
    »Paulus«, murmelte er tonlos.
    Die Wahrsagerin nickte und schob ihren Finger in das warme Fleisch. Hin und her schob sie es, hob es an und zerdrückte es. Paulus lugte zur Seite. Angewidert sah er, dass Nox bei den schmatzenden Geräuschen, die Kassandra mit ihren Bewegungen verursachte, genüsslich die Augen schloss.
    Auch Kassandra schien in einen Zustand der Entrückung zu geraten. Paulus fragte sich, wie sie so in der Leber lesen wollte. Vor und zurück wippte ihr Oberkörper, aus ihrer Kehle drangen leise Laute wie die eines Tieres. Kassandras Lider hoben sich ein wenig, doch war nur das Weiße ihrer Augen zu sehen. Ihr Summen wurde lauter, steigerte sich zu einem hohen Ton und geriet zu einem Kreischen, das Paulus’ Ohren peinigte. Der Schrei endete jäh, und Kassandra starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
    Es war alles nur ein falsches Spiel, und dennoch fühlte sich Paulus nicht wohl in seiner Haut. Um Kassandras Blick auszuweichen, sah er zu Nox hinüber. Der grinste ihn an und gab ihm mit einer Grimasse zu verstehen, dass auch er den Auftritt wenig überzeugend fand.
    Kassandra bekam davon entweder nichts mit, oder sie ließ sich nichts anmerken. Noch immer waren ihre großen Augen auf Paulus gerichtet. Ihr Mund öffnete sich, und ein Speicheltropfen lief über ihr Kinn. Es schien, als versuchte sie zu sprechen, doch kamen erst keine Wörter und dann nur sinnlose Silben über ihre Lippen. Bald mischten sich Wortfetzen in das Gebrabbel, bis sie endlich klar, doch immer noch ohne erkennbaren Sinn sprach.
    »Saulus, Saulus, Paulus, Paulus, Heuchler sind Meuchler, Leugner sind Lügner, jeder Einfall ein Reinfall, jeder Unfall kein Zufall, jede Wende kein Ende, hab acht vor der Nacht.«
    Kassandras Augen schlossen sich wieder, und Paulus staunte nicht schlecht, als sie, noch immer sitzend, zu schnarchen anfing. Sie wachte selbst dann nicht auf, als Nox schallend auflachte.
    »Wundervoll, das war ja bestens angelegtes Geld.« Nox schlug sich auf die Schenkel. »Auf geht’s, Bürschchen, lassen wir die alte Hexe ihren Rausch ausschlafen. Morgen wird sie sich von meiner Münze ein Fass Wein und eine neue Gänseleber kaufen und am Abend den nächsten Schelm ausnehmen.«
    Sprach’s, stand auf und zog seinen Führer mit sich. Paulus’ ungutes Gefühl wuchs. Was, wenn doch nicht alles Hokuspokus war von dem, was die Wahrsagerin so trieb und von sich gab? Die Nacht sollte er meiden, hatte sie gesagt. Doch die Nacht brach gerade über Köln herein. Und auch wenn er kein Latein verstand, kannte er durchaus ein paar Wörter. So wusste er genau, dass Nox Nacht hieß.
    Nimm die Beine in die Hand, flüsterte die eine Stimme in Paulus’ Kopf. Denk an den zweiten Silbergroschen, rief die andere. Nox hin, Nacht her, Paulus entschied, den leisen Mahner in sich zu überhören und dem lauten Versucher nachzugeben. Zwischen ihm und seinem Lohn lagen nur noch rund fünfhundert Schritte. Höchstens. Ein Katzensprung. Was sollte ihm auf dieser kurzen Strecke schon Schlimmes widerfahren?
    Alle drei Häuser lagen vom Rhein aus gesehen hinter dem Heumarkt. Um Nox keine Gelegenheit mehr für schlechte Späße auf seine Kosten zu geben, ging Paulus schnellen Fußes an den Zelten der Gaukler und Spielleute vorbei. Doch Nox schien an vorlauten Sprüchen kein Interesse mehr zu haben. Paulus wagte einen Blick zur Seite. Nox wirkte in sich gekehrt und abwesend. Im Licht der Lagerfeuer schien es, als hätte er die Lider gesenkt. Der Wankelmut und die Sprunghaftigkeit dieses Kerls verstörten Paulus. Im Hafen noch war er freundlich, ja anbiedernd gewesen, dann hatte

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