Domfeuer
unvorbereiteten Tod? Würden seine Brüder wenigstens an seinem Grab Frieden schließen? Was würde Angela sagen, wenn sie ihn tot im Hof liegen sah? Wann hatte er die letzte Beichte abgelegt? Und warum stach Nox nicht endlich zu?
Paulus öffnete die Augen. Nox stand immer noch über ihn gebeugt da.
»Der Alptraum beginnt erst«, hauchte er und drückte Paulus die Waffe in die Hand.
Dann verschwand Nox aus seinem Blickfeld, fort in die Dunkelheit.
Mit einem Mal war der Hof in Licht getaucht. Aus dem Gesindehaus kamen Männer mit Fackeln, das Bellen der Hunde drang lauter an Paulus’ Ohr. Er wand sich, und endlich gelang es ihm, sich von der Leiche des Kaufmanns zu befreien.
Doch dadurch verbesserte sich seine Lage nur unwesentlich. Was tun? Die Leiche hatte eben noch auf ihm gelegen. Sein Hemd war blutbesudelt. Er hielt das Mordwerkzeug in der Hand. Paulus sah sich schon am Galgen baumeln.
Nox – wo war Nox? Paulus sah hin und her. Der Mörder war verschwunden. Als hätte die Nacht ihn schlicht verschluckt.
Denk nach! Denk doch endlich nach! Der Hof war rundherum geschlossen, und im Durchgang zum Quatermarkt tauchten bereits Gestalten auf – Mummersloch hatte so laut um Hilfe gerufen, dass sicher das gesamte Viertel aufgeweckt worden war. Der einzige Ausweg war verbaut. Paulus saß in der Falle. Und die Männer aus dem Gesindehaus kamen auf ihn zu.
Er ließ alle Hoffnung fahren. Mit hängenden Schultern blickte er auf den toten Mummersloch, der mit seltsam verdrehten Armen und Beinen dalag.
Mummersloch.
Paulus hatte nie ein Wort mit diesem Mann gewechselt, und jetzt sollte er als dessen Mörder hängen? Das war doch verrückt.
Mummersloch. Der Name rollte durch Paulus’ Hirn. Mummersloch, Mummersloch.
Und plötzlich stand ihm der Ausweg aus dieser Falle klar vor Augen. Wie riefen die Kinder auf der Straße stets, wenn Mummersloch ihnen begegnete? »Mummersloch mit Mauerloch! Mummersloch mit Mauerloch!« Angela hatte ihm den Spottruf erklärt. Weil der Kaufmann den Umweg über den Quatermarkt leid gewesen war, hatte er sich vor einigen Jahren beim Rat der Stadt einen Durchbruch durch die alte Römermauer genehmigen lassen, an die sein Haus gebaut war. Seitdem konnte er auf direktem Weg zum Heumarkt gelangen.
Das Haus. Paulus fuhr herum. Die Tür war noch immer geöffnet, die Magd stand davor und hielt ihre Hände vor Entsetzen um den Körper geschlungen. Er rannte los, geradewegs auf die Haustür zu. »Lass mich das Loch in der Mauer finden, Herr, bitte lass mich das Loch finden.«
Die Magd stieß einen Schrei aus und sprang zur Seite. Paulus hechtete an ihr vorüber ins Haus. Hinter sich hörte er die wütenden Rufe seiner Verfolger. Er griff nach der Tür, um sie zu verriegeln und wenigstens einen kleinen Vorsprung zu gewinnen. Bevor sie zufiel, gewahrte Paulus im Fackelschein den Umriss eines ungewöhnlich großen Mannes am anderen Ende des Innenhofs.
Nox.
Er stand im Durchgang zum Quatermarkt, inmitten der Menschen, die der Schreie wegen in den Hof gekommen waren.
Nox winkte. Dieser Bastard winkte ihm zu. Er genoss, was er ihm angetan hatte. Paulus warf die Tür zu, schob den Riegel vor und versuchte, sich zurechtzufinden. Er war in der Wohnhalle, die von den zahllosen Kerzen eines großen Deckenleuchters erhellt wurde. Zwei Frauen und mehrere Kinder starrten ihn an.
»Was geht hier vor?« Eine der Frauen kam auf ihn zu und sah auf sein blutdurchtränktes Hemd. »Wo ist mein Mann? Warum hat er um Hilfe geschrien?«
Ihr Blick wanderte tiefer. Erst jetzt merkte Paulus, dass er die Waffe, die Mummersloch das Leben genommen hatte, noch immer in der Hand hielt. Seine Verfolger schlugen mit den Fäusten gegen die Tür.
»Ich … muss weg! Entschuldigt.« Paulus hastete weiter und ließ die verstörte Familie zurück. Durch einen Durchlass auf der anderen Seite der Halle gelangte er in einen Flur, der weiter ins Haus hineinführte. Er sah zwei Türen am Ende des Gangs. Die rechte stand offen. Er stürmte hindurch und fand sich in der großen Küche wieder. Eine Stimme bremste ihn jäh.
»Paulus?«
Nox lehnte an der Wand des Quatermart-Hauses und verfolgte das Geschehen. Das Geschrei vom Hof Mummersloch war unüberhörbar. Immer mehr Menschen liefen vom Quatermarkt in die Gasse. Sie eilten in die Richtung, in der sie den Aufruhr vermuteten. Vermutlich würden Mummerslochs Knechte den Jungen gerade packen. Wenn sie in der richtigen Stimmung waren, würden sie dem Scharfrichter die Arbeit abnehmen
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