Domfeuer
Kaufmann das Tier nach dem Heiligen benannt und Hubert stets an seiner Seite geführt, wenn er auf dem Markt oder im Hafen ein Geschäft abschloss. Gern und oft war Mummersloch auf die Jagd gegangen, und manche Spötter sagten, er habe nicht des Titels wegen die Tochter eines verarmten Adligen aus der Eifel zum Weib genommen, sondern weil er ein weitläufiges Jagdrevier gesucht habe, in dem er mehr Zeit verbringen konnte als mit seinen Geschäften.
»Ruhig, Hubert, ist ja gut, sei ein braver Junge.«
Während zwei der Töchter die Witwe des Mummersloch stützten und von dem Toten wegführten, sprach Wernher auf den Hund ein, der immer noch am Strick zerrte. Vergebens. Als seinen gichtigen Händen die Kraft ausging, riss sich das Tier los und rannte zur Leiche seines Herrn, um aufgeregt daran zu schnüffeln. Wernher humpelte zu Mummersloch hinüber und versuchte, Hubert wegzuziehen. Angewidert und gebannt zugleich sah er auf die beiden daumendicken Löcher im Hals des Toten und wunderte sich, wie viel Blut ein Mensch verlieren konnte. Es sickerte so unendlich viel davon in den Boden.
»Jetzt komm schon, Hubert, weg da.«
Wernher zog und riss am Strick, doch der Hund stemmte ihm alle Pfoten entgegen und roch an der Blutlache.
Und da überkam Wernher ein Einfall.
»Holt Fackeln, Waffen – und die Meute«, sagte er in die Runde und erklärte den anderen Männern des Gesindes, was er vorhatte. Hubert hatte schon früher Blutspuren von angeschossenem Wild verfolgt. Nun wollte Wernher die Jagd umkehren und kein Tier, sondern einen Menschen hetzen. Ein letztes Mal würde der Hund für seinen Herrn eine Fährte aufnehmen und Mummerslochs Blut an den Kleidern und auf der Haut des Mörders aufspüren.
Angelas Gedanken waren wirr wie ein Ameisenhaufen. War das eben wirklich Paulus gewesen? Sie schüttelte den Kopf. Natürlich war er es gewesen. Aber was war geschehen? Immer wieder gingen ihr seine Worte durch den Kopf.
Verrate mich nicht, es stimmt alles nicht.
Angela stand im Hof mit all den anderen aus dem Gesinde und der Familie Mummersloch. Sie hörte das herzzerreißende Weinen der Herrin wie durch dickes Tuch. Sie versuchte zu denken, aber es gelang ihr nicht.
Verrate mich nicht, es stimmt alles nicht.
Angela wollte ihm glauben. Paulus war nie im Leben ein Mörder. Keiner Fliege konnte er etwas antun, und schon gar nicht ihrem Herrn. Sie wollte es so sehr. Aber auch das gelang ihr nicht. Sie erinnerte sich an die Klinge in seiner Hand. An seinen gehetzten Gesichtsausdruck. Das Blut auf Paulus’ Hemd und Gesicht. An die Schreie. Und nun sah sie ihren toten Herrn im Hof liegen.
Verrate mich nicht, es stimmt alles nicht.
Die Knechte kehrten aus dem Stall zurück. Die Hunde waren von all dem Geschrei und von Huberts Gebell aufgehetzt. Sie würden Jagd machen auf Paulus. Es war verrückt, doch der Anblick der jaulenden Meute tröstete Angela. Nun geriet sie gar nicht erst in Versuchung, Paulus zu verraten. Die Hunde würden ihn auch ohne ihr Zutun finden.
Wenn er unschuldig war, würde der Herr ihm schon beistehen.
Die Ohnmacht lähmte jede Faser in Paulus’ Körper. Er wollte schreien, wollte die ganze Stadt zusammenrufen, auf Nox zeigen und ihn als Mörder enttarnen. Doch wer würde ihm glauben?
Mummerslochs Blut klebte noch immer in seinem Gesicht. Und jetzt stand er hier vor dem Haus, in dem gerade Quatermart niedergestochen worden war. Gewiss hatte Nox sich auch hier keinen Fehler erlaubt. Niemand würde ihn bei der Leiche gesehen haben.
Paulus wandte sich auf dem Absatz um und rannte los. Er lief um sein Leben. Für Hartmann Gir, der als Nächster an der Reihe war, konnte er nichts mehr tun. Barthel würde seinen Vater verlieren. Der einzige Hals, den er noch retten konnte, war sein eigener.
Paulus rannte, rannte, rannte, bis seine Lunge schmerzte. Wohin, war ihm erst einmal gleich. Nur weg, weit weg von den Orten des Grauens. Überlegen konnte er unterwegs. Er hetzte über die Straße Obenmarspforten und lief zwischen der Kirche Sankt Laurentius und der Synagoge hindurch, die rechts von ihm hinter einer Mauer lag. Das Judenviertel war ein Städtchen in der Stadt. Paulus wünschte sich zum ersten Mal in seinem Leben, nun hinter dieser Mauer zu sein, seinetwegen auch mit Spitzhut, und die Tore hinter sich verschließen zu können. Doch das Viertel wurde nie verriegelt, auch nachts nicht.
Als er die Budengasse kreuzte, stieß er aus vollem Lauf mit einem schweren Karren zusammen. Vor Schmerz blieb ihm
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