Domfeuer
Baustelle herrschte nur die Dunkelheit.
Paulus nahm sich ein Herz und sprang. Er landete weich und wohlbehalten. Seine Finger fühlten hohes Gras. Eine kurze Weile wartete er, bis sich seine Augen an die nächste Stufe der Finsternis gewöhnt hatten. Als er wenigstens die Umrisse von Gerüsten, Steinstapeln und einem Lastkran erkennen konnte, wagte Paulus sich weiter vor. Er ging zu einer Mauer hinüber, an deren Fuß er Werkzeug und vielleicht auch einen Bottich mit Wasser wähnte. Den fand er schneller als erhofft. Er stieß mit dem Fuß gegen einen gefüllten Holzeimer, doch nicht fest genug, um ihn umzustoßen. Dankbar fiel er auf die Knie und wusch sein Gesicht.
Das kühle Nass half ihm, einen halbwegs klaren Kopf zu bekommen. Er ließ sich ins Gras sinken. Sein wummerndes Herz fiel in einen etwas langsameren Takt zurück. Vielleicht könnte er die Nacht hier verbringen. Wer sollte ihn schon auf einer Baustelle suchen?
Wieder hörte er Hundegebell und nun auch aufgeregte Stimmen von der anderen Seite der Mauer. Die Wortfetzen ließen ihn aufschrecken.
»Über die Mauer … auf der Baustelle … der Lump … Wo ist der Eingang?«
Sie waren ihm bereits auf den Fersen. Die Frage war nur, ob seine Jäger auf gut Glück jeden Stein umdrehten oder ob sie eine Spur verfolgten. Vielleicht hatte der Goldgräber ihnen den Weg gewiesen. Vielleicht hatte jemand beobachtet, wie er über die Mauer geklettert war. Zumindest wusste Paulus nun, dass er auf keinen Fall unter freiem Himmel schlafen konnte. Nein, er brauchte eine Tür, die er hinter sich schließen konnte. Er hatte aus dem Blickfeld zu verschwinden.
Aber erst einmal musste er von hier fortkommen und seine Verfolger abschütteln. Paulus sprang auf und rannte los, auch auf die Gefahr hin, in der Dunkelheit zu stürzen und sich alle Knochen zu brechen.
Das Wasser war kalt, kalt wie die Leere in ihrer Brust. Irmel wusch sich den Samen aus ihrem Schoß und konnte die Tränen kaum zurückhalten. Mit einem alten Lappen trocknete sie sich ab und warf ihn angewidert in die Ecke.
Ein alter Lappen. Mehr war auch sie nicht mehr.
Nur noch widerwillig griffen die Kerle auf sie zurück, nur dann, wenn nichts Frisches zu haben war. Und nach Gebrauch landete sie in der Ecke.
In ihrer Kammer gab es nicht mehr als ein besudeltes Bett, einen Nachttopf und eine Waschschüssel, dazu noch das Versteck zwischen Balken und Decke, in dem sie einen kleinen Geldbeutel verbarg. Sie hatte noch nicht einmal eine Truhe für ihre wenigen Habseligkeiten. Himmel, was für ein Verschlag. Jedes Schwein auf den Höfen an der Severinstraße lebte besser. Für die Säue gab es immerhin noch einen stets gut gefüllten Trog. Das sollte es gewesen sein? Dafür hatte sie ihr Leben lang die Beine breit gemacht? Irmel barg das Gesicht in ihren Händen.
Es wurde eng für sie. Blieben die Freier aus, fehlte das Geld für den Hurenwirt. Ihre Mietschulden konnte sie zwar tilgen, indem sie es ihm hin und wieder besorgte. Doch auch Henner zeigte immer weniger Interesse, sie zu besteigen. Er war nicht der Hässlichste. Die neuen Mädchen ließen sich lieber von ihm betatschen, wenn sie dafür weniger Kunden zu bedienen hatten.
Diese Kühe vom Land! Sie machten ihr das Geschäft vollends zunichte. Bauernmädchen, die ihr Glück in der Stadt suchten oder von ihrer Familie gar geschickt wurden, um Geld für die Daheimgebliebenen zu verdienen. Frisch und unverdorben sahen sie aus, mit rosiger Haut und großen, unschuldigen Augen, mit dicken Zöpfen und dicken Eutern. Sie waren so anders als die verdreckten Stadthuren, wenigstens in den ersten Wochen. Die Männer leckten sich die Finger nach ihnen.
Mit entblößtem Unterleib stand Irmel da und starrte aus ihrer Kammer hinaus in den Gang. Die Tür, durch die Mickel gestürmt war, stand immer noch offen. Lustig und schnell drang die Musik aus dem Schankraum hoch und schien sie zu verhöhnen. Sie, die alte, traurige und langsame Hure.
Einst war auch sie jung und drall gewesen, mit festem Fleisch. Und sie hatte über die alten, traurigen und langsamen Huren gelacht, die vergebens auf Freier warteten und in ihren Kammern welkten.
Sie musste sich dringend etwas einfallen lassen. Sie hatte gehofft, mit den Jahren ein hübsches Sümmchen anhäufen zu können, um irgendwann selbst ein Hurenhaus zu leiten. Dann hätten andere für sie die Drecksarbeit erledigt. In ihren Träumen hatte sie sich lachend Münzen zählen sehen, während aus allen Kammern ihres großen
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