Domfeuer
ihre gespreizten Beine um seine Hüften geschlungen. »Was soll das?«
»Strampel nicht so, ich will nichts von dir. Aber wir müssen uns nun kleiner machen und unser Gewicht besser verteilen. Gleich wird es ein bisschen holprig.«
Nach allem, was er in dieser Nacht erlebt hatte, wagte Paulus es nicht, Jennes Vorgaben in Zweifel zu stellen. Als sich die Wanne so drehte, dass er in Fahrtrichtung blicken konnte, ahnte er, was nun kommen würde. Vor ihnen reckte sich das Filzengrabentor in die Nacht empor.
Als Dombaumeister Gerhard nach Hause zurückkehrte, brachte er all seine trüben Gedanken mit heim, sowohl die Sorge um den verschwundenen Werkmeister Burkhart als auch den Ärger über die anhaltenden Diebstähle auf der Dombaustelle. Seine Guda lag schon längst im Bett. Gerhard schaffte es gerade noch, einen Kienspan an seiner Laterne zu entzünden, bevor der letzte Rest Öl verbrannte und sie erlosch. Er steckte den Span in einen schmalen Krug und sah sich in der Kammer um. Auf dem Tisch stand eine zugedeckte Schüssel. Gerhard setzte sich und hob das Tuch an. Die gute Guda. Sie hatte das Huhn nicht angerührt, sondern für ihn stehen lassen. Aber er hatte kein Verlangen nach Essen. Die ergebnislose Suche nach seinem Werkmeister war ihm auf den Magen geschlagen. Auf der Dombaustelle war Burkhart zuletzt vor mehreren Stunden gesehen worden, seine Wohnung war leer, und auch in den Wirtshäusern, die für gewöhnlich von seinen jungen Steinmetzen und Tagelöhnern besucht wurden, war Gerhard nicht fündig geworden.
Er ballte die Hand zur Faust, besann sich jedoch, bevor er auf die Tischplatte schlug. Gewalt war kein Mittel gegen Sorgen.
Aber Untätigkeit auch nicht, und es machte Gerhard zu schaffen, dass er mit seinem Latein am Ende war. Seine Befürchtung wuchs sich langsam zur Gewissheit aus: Burkhart musste etwas zugestoßen sein. Anders ließ sich sein Verschwinden nicht erklären. Gerhard stützte den Kopf auf der Hand auf und sah dem Kienspan beim Abbrennen zu. Es war viel Harz im Span, sodass die Flamme unruhig flackerte.
Gerhards Schwermut wuchs. Gleich morgen früh würde er das Verschwinden des Werkmeisters anzeigen müssen. Das war kein gutes Vorzeichen für sein gigantisches Vorhaben.
Kurz bevor der Kienspan erlosch, deckte Gerhard das Huhn wieder zu. Es sollte morgen nicht nur Guda, sondern auch seinen ungeborenen Sohn stärken.
Mit einem Mal verschwand der Sternenhimmel über ihnen. Es war stockfinster. Das leise Plätschern des Baches hallte von allen Seiten wider und schwoll allmählich an.
»Unten bleiben«, sagte Jenne. »Über uns sind Bretter und Planken. Die sind aber so alt, dass inzwischen Gras und sogar Sträucher darauf wachsen. Vielleicht hast du deshalb gemeint, dass der Bach unterirdisch fließt. Wir treiben geradewegs unter dem Tor hindurch.«
Der Zuber passte knapp unter die Decke des Tunnels und gewann allmählich an Fahrt. Paulus fühlte sich wie der Kirschkern im Mund eines Riesen, der sich anschickte, an einem Weitspuckwettbewerb teilzunehmen. Der Zuber stieß irgendwo an und drehte sich schnell, dann ruckelte es, als würden sie auf dem Hosenboden eine Stiege hinunterrutschen. Mit einem Rauschen spie der Bach sie in den Rhein. Der Zuber tauchte ein Stück ein, sodass Wasser hineinlief.
»Scheiße!«, rief Paulus, der nun mit dem Hintern in einer Pfütze saß und doch heilfroh war, den Guss überstanden zu haben, ohne dass sie gekentert waren.
Der Rhein erstreckte sich vor ihnen wie eine glänzende Klinge, die von unsichtbarer Hünenhand durch das dunkle Land geschoben wurde. Auf dem flüssigen Stahl tanzte das Licht eines Gasthofes in Deutz, das am anderen Ufer gelegen war. Paulus erkannte auf einen Blick, dass es mehr als nur ein nasses Hinterteil geben würde, wenn er nicht sofort handelte. Er sprang hinaus, bevor ihr Zuber in tieferes Wasser und mitten zwischen die oberländischen Schiffe treiben konnte, die an diesem Teil der Hafenmauer vor Anker lagen und ihre Bäuche in das Wasser drückten. Bis zur Hüfte versank er im Rhein und hielt den Wannenrand fest, damit Jenne nicht mitsamt dem Zuber umkippte.
»Und was jetzt?«, fragte sie.
»Nur ruhig Blut. Ich weiß, was ich mache. Wir müssen in die andere Richtung, nicht flussabwärts.«
»Und du bleibst im Wasser, damit die Hunde deine Fährte nicht wieder aufnehmen können.«
»Ja, ja.«
Paulus zog den Zuber gegen die Strömung, die so nah am Ufer nicht stark war. Er stapfte über die Einmündung des Duffesbachs
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