Domfeuer
erst auf dem richtigen Weg gewähnt. Doch musste er sich eingestehen, dass die vorübergehende Linderung einzig auf die betäubende Wirkung des Weines zurückzuführen war und nicht etwa auf das Ableben des Wurmes.
Als ihm dann auch noch bei einem Tanz auf einem beunruhigend wackligen Tisch schlagartig bewusst wurde, dass sein Verhalten seinem Amt als Büttel und seiner Würde wenig angemessen war, fasste er einen – halbwegs – ernüchternden Beschluss. Er wollte nach Hause gehen, versuchen, ein paar Stunden zu schlafen, und gleich am Morgen einen Zahnbrecher ans Werk und damit leider Gottes auch an seinen Kiefer lassen.
Vorausgesetzt, er schaffte es in diesem Zustand und in der Dunkelheit überhaupt bis in sein Bett. Da seine Füße immer noch dem Wein und noch nicht seinem Willen gehorchten, schien Konstantin der kratzige Strohsack so unerreichbar wie der Garten Eden. Dabei hatte er es gar nicht mehr weit. Er tapste die Stolkgasse hinunter, trat einem schlafenden Hund auf den Schwanz, der sich wohl der Schwüle der Nacht wegen mitten auf den Weg gelegt hatte, und stolperte fluchend die letzten Schritte bis zu seiner Tür. Während er dem jaulend flüchtenden Tier eine aufrichtig gemeinte Entschuldigung hinterherlallte, bemerkte Konstantin, dass die Tür offen stand.
Und durch den Spalt fiel ein schwacher Lichtstrahl.
Der Schreck machte ihn nicht nüchtern, aber auch nicht ängstlich. Konstantin war gesegnet mit dem Wuchs eines Baumes, und selbst trunken und taumelnd war er eine imposante Erscheinung. Er stieß die Tür auf und trat ein.
Mitten im Raum stand ein Mann, der ihm den Rücken zugewandt hatte. Der Eindringling drehte sich um.
»Na, endlich«, sagte er.
Konstantins Anspannung fiel ein wenig von ihm ab. Er kannte den Mann. Das war kein Dieb, sondern einer der Schöffen. Konstantin schüttelte sich und versuchte, halbwegs Haltung anzunehmen. Und er versuchte, sich an den Namen des Mannes zu erinnern. Es wollte ihm nicht gelingen.
»Was führt Euch zu dieser Stunde in mein Haus, Herr?«
Der Schöffe atmete schwer. »Morde, Konstantin, Morde.«
Konstantin spürte wieder das Pochen unten rechts in seinem Kiefer. Und knapp zwei Handbreit darüber kündigte sich bereits ein ausgewachsener Kater an.
»Kann das nicht noch ein paar Stunden warten?«, sagte er und wusste im gleichen Augenblick, dass die Frage unangebracht war. Wenn sich ein Schöffe mitten in der Nacht zu ihm bemühte, tat er das gewiss aus gutem Grund.
»Das kann es nicht«, sagte der Mann in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete, und mit einem Blick, der Missfallen über Konstantins erbärmlichen Zustand kundtat.
»Was ist geschehen?«
»Ein Unbekannter hat in dieser Nacht drei ehrbare Kölner Bürger heimtückisch ums Leben gebracht, vielleicht sogar noch weitere.«
»Wen?«
»Die Herren Hermann Mummersloch, Gerhard Quatermart und Hartmann Gir.«
Konstantin verlieh seiner Überraschung mit einem Pfiff Ausdruck. Und wieder wusste er gleich, dass diese Lässigkeit ungehörig war. Denn als er sich die Gesichter zu den Namen ins Gedächtnis rief, fiel ihm wieder ein, wer da vor ihm stand. Die Ähnlichkeit des Sohnes mit dem Vater war augenfällig – hervorstehende Augen, krumme Nase, langer Hals und eine wirklich sehr, sehr hohe Stirn. Sein nächtlicher Gast war der Schöffe Theoderich Gir, ältester Sprössling des Kaufmanns Hartmann Gir.
»Seid Ihr sicher?«, fragte Konstantin.
»Ich war dabei, als mein Vater ermordet wurde.«
»Das heißt, Ihr habt den Mörder gesehen?«
Theoderich seufzte. »Nein. Es ging alles so schnell. Wir Söhne saßen mit Vater zusammen, um über eine große Handelsreise in die Lombardei zu beratschlagen, als der Mörder ihn und uns überlistete. Wir haben alle miterlebt, wie unser Vater erstochen wurde. Aber keiner hat den Mörder zu Gesicht bekommen.«
»Und bei den anderen Opfern?«
»Da ist es ähnlich. Beim Mummersloch hat eine Magd zwei Männer gesehen. Auch die Familie hat wohl einen kurzen Blick auf einen der Kerle werfen können, aber er war im Gesicht derart blutverschmiert, dass sie keine vernünftige Beschreibung von ihm zu geben vermochte. Noch etwas – alle drei Morde müssen nahezu zur selben Zeit begangen worden sein. Im Viertel war mit einem Schlag ein großes Geschrei. Zur Erleichterung Eurer Arbeit habe ich bereits alle möglichen Zeugen in den Hof meines Vaters bitten lassen.«
»Dann sollten wir gehen«, sagte Konstantin und wandte sich zur Tür.
Seine Aufgabe war es,
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