Domfeuer
hinweg und wunderte sich, wie wenig Wasser sich in den Rhein ergoss. Dabei hätte er schwören können, eben eine Wildwasserfahrt hinter sich gebracht zu haben. Er blieb nah am Ufer, das hier nicht aus einer Hafenmauer, sondern aus einem Knüppeldamm bestand, der tagsüber den Hufen der Treidelpferde Halt gab.
Bald fand er, wonach er Ausschau hielt. Auf dem Ufer lag eine Esche. Das Boot eines Fährmanns ließ sich leicht durch den Fluss bewegen, weil es schmal und sehr flach war. Paulus schob den Zuber zu der Esche und half Jenne beim Umsteigen. Nur etwa hundert Schritte musste er noch durchs Wasser waten, dann waren sie in Höhe des Werthchens angelangt. Er schwang sich an Bord, nahm das Ruder und stieß die Esche vom Ufer ab. Dank einiger kräftiger Schläge näherten sie sich schnell der Insel.
»Was hast du vor?« Jennes Stimme zitterte leicht.
Paulus konnte ihr die Unsicherheit nicht verdenken. Vermutlich wurde ihr mit dem Blick auf das schwindende Ufer bewusst, dass sie im Begriff war, an der Seite eines gesuchten Verbrechers mitten in der Nacht die Stadt zu verlassen und auf den Rhein hinauszurudern. Zudem noch eines Verbrechers, der keine Zeugen gebrauchen konnte, sehr wohl aber ihr Geld.
»Keine Sorge, ich werde dir nichts tun«, sagte er.
Jenne rutschte hin und her, sah zurück zur Stadt und dann wieder hin zur Insel, deren Umriss sich rasch vergrößerte. »Was hast du verbrochen?«
Offenbar wollte sie ausloten, wie gefährlich er war. »Nichts«, sagte Paulus knapp.
Ihm stand nicht der Sinn nach einer wortreichen Erklärung, denn sie umrundeten die Spitze der Insel, und er musste nun höllisch aufpassen, dass die Esche den Kurs hielt. Gleich verließen sie den Schutz des Werthchens und kamen auf offenes Wasser mit stärkerer Strömung.
»Und warum suchen sie dich dann?«
»Jetzt halt doch endlich mal die Klappe!«
Jenne duckte sich. Und schon tat Paulus sein Schelten leid. Vielleicht war es nur wieder eine ihrer Maschen. Vielleicht aber war sie völlig verängstigt und fürchtete um ihr Leben. Dabei war Paulus ihr etwas schuldig. Er hatte sie bestohlen, und sie hatte ihn heil aus der Stadt gebracht.
»Verzeih«, brummte er, und sein schlechtes Gewissen wuchs noch weiter, als er daran dachte, was er ihr gleich antun würde. Ihre Sorgen waren nicht unbegründet. Er konnte keine Zeugen gebrauchen. »Ich erkläre dir alles, wenn wir da sind.«
»Da?«, flüsterte sie.
Paulus stach das Ruder kräftig ins Wasser. Mit dem Kopf deutete er hinüber zu den Lichtern mitten auf dem Rhein.
Konstantin, den man den Kneifer nannte, torkelte heimwärts. Es war weniger die Dunkelheit, die ihm Schwierigkeiten bereitete, einen Fuß sauber vor den anderen zu setzen, als vielmehr eine ungesunde Mischung aus Schmerz und Trunkenheit. Seit Tagen plagte ihn ein Zahnweh, das sich erst mit einem leisen Pochen bemerkbar gemacht hatte, bald aber zu einem wüsten Hämmern herangewachsen war. Konstantin ahnte gleich, was ihm widerfahren war, und Daem, der Apotheker vom Neumarkt, hatte nach gründlicher Untersuchung seinen Verdacht bestätigt – er hatte sich irgendwie, irgendwo einen Zahnwurm eingefangen. Der zweite Backenzahn unten rechts klopfte und polterte, er schien gar aus dem Kiefer springen zu wollen, was Konstantin ihm gar nicht übel genommen hätte, wenn mit ihm nur der Schmerz verschwunden wäre.
Eine Woche lang hatte Kräutermann Daem seine Kunst angewandt. Doch weder das mehrmalige Räuchern des Mundes mit Aloe und Myrrhe, wie es Hildegard von Bingen empfahl, noch das Einatmen von Bilsenkraut- oder Weihrauchdämpfen vermochten den Zahnwurm zu töten oder wenigstens zu vertreiben. Der Wurm fraß sich reichlich satt. Bei einer der Räucherungen hatte Konstantin in seiner Not zu heftig eingeatmet, sich verschluckt und mit der heißen Luft beim Husten zu allem Überfluss die Nase verbrannt. Schlussendlich hatte Daem ihm ein weiteres Mal Geld für die sündhaft teuren Kräuter abgenommen, die Schultern gehoben und mit vermutlich ehrlichem Bedauern mitgeteilt, nichts mehr für ihn tun zu können. Der Apotheker riet zur Extraktion. Aber Konstantin fürchtete diesen Schmerz noch mehr als den Zahnwurm.
Und so sagte er seinem Peiniger den Kampf an. Den ganzen Abend und die halbe Nacht brachte er mit dem Versuch zu, den Wurm zu ertränken, und gab sich dabei der Hoffnung hin, saurer Wein könne dies besser bewerkstelligen als Wasser oder auch Gruitbier. Im »Schwarzen Schwan« unten im Hafen hatte Konstantin sich
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