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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Vlaminck
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Brücke war vor vielen Jahren schon abgebrochen worden, weil die Kölner Überfälle vom anderen Rheinufer fürchteten. Vor langer Zeit waren die Menschen von Deutz über die Brücke und die Salzgasse mitten in die Stadt hineingelangt. Davon zeugten jedoch nur noch die Stümpfe der steinernen Brückenpfeiler, die nach dem Abbruch der Brücke bis knapp unter die Wasseroberfläche ragten und eine Gefahr für durchfahrende Schiffe waren.
    Die Stümpfe waren eine künstliche Grenze im Wasser, doch waren sie nicht der einzige Grund, weshalb in Köln so viele Schiffe anlegten wie in keiner anderen Stadt am Rhein. Der Fluss selbst zwang die Schiffer dazu. Den Rhein abwärts bis Köln fuhren die Oberländer, recht schmal gebaute Schiffe mit einem hohen Heck und geringem Tiefgang, mit denen sich der flache Fluss und die Stromschnellen im Mittellauf besser bewältigen ließen. Wer Waren weiter bringen wollte, musste in Köln auf die bauchigeren Niederländer umladen, die für den Tieflandstrom gebaut waren und viel mehr Ladung aufnehmen konnten. Die Grenze auf dem Strom markierte das Salzgassentor. Rheinaufwärts lagen die Oberländer im Hafen, rheinabwärts die Niederländer.
    Paulus senkte den Kopf. Die Torwächter sollten möglichst wenig von seinem Gesicht zu sehen bekommen. Sicher war sicher. Doch schon nach wenigen Schritten wandte Jenne sich um und reckte den Hals.
    »Wo ist denn dieses berühmte Schiff?« Sie sah die Hafenmauer hinab.
    »Könnten wir bitte weitergehen? Ich fühle mich hier nicht wohl. Es gibt hier zu viele Menschen, die mich erkennen können.«
    »Ist es das da hinten?« Jenne deutete auf ein Schiff, das sich allein seiner Größe wegen schon von den anderen abhob und etwa zweihundert Schritt rheinabwärts an der Mauer lag. Auf dem Kai standen Menschen und betrachteten die seltsame Konstruktion. Jenne hob ihre Augenklappe, um das Schiff besser sehen zu können. »Himmel, das ist ja riesig.«
    »Ja, das ist es. Kommst du …« Paulus blinzelte, als müsste er ein Trugbild wegwischen. Nein, er hatte sich nicht verguckt. Jenne hatte soeben die Klappe vor ihrem Auge angehoben. »Sag mal …«, setzte er an, aber ihm fehlten die Worte.
    Jenne griff nach der Klappe und zog sie sich zu Paulus’ Verwunderung ganz vom Kopf. Nun sahen ihn zwei strahlende hellblaue Augen an. Jennes Grinsen legte ihre Zahnlücke frei. Sie war wunderhübsch, diese Ratte!
    »Sie ist schon so sehr Teil meiner selbst geworden, dass ich immer wieder vergesse, sie abzunehmen.«
    »Du hast zwei Augen!«
    »Schlaues Kerlchen. Wer nicht?«
    Paulus wurde allmählich fuchsteufelswild. »Jajaja, wer nicht!«, sagte er. »Aber warum trägst du eine Augenklappe, wenn du zwei gesunde Glubscher hast? Ich Narr habe mir Gedanken gemacht, was dir armem Kind wohl zugestoßen sein mochte. Zum heiligen Kilian hab ich gebetet, dass er dein Augenleiden heilt.«
    Jenne hob die Schultern und verzog den Mund. »So halte ich mir die Freier länger vom Leib. Wenn ich süß und unschuldig aussehe, fallen sie mit ihren kratzigen Pranken gleich über mich her. Mit Klappe aber muss ihre Geilheit erst einen gewissen Ekel und das Mitleid übersteigen. Das verschafft mir ein wenig mehr Zeit.«
    Paulus setzte seinen Weg Richtung Salzgassentor fort. »Zeit wofür? Ich dachte, die Damen deines Gewerbes sind gemeinhin froh, wenn es schnell vorbei ist. Und überhaupt dachte ich, du seist Jungfrau.«
    Jenne ließ die Augenbinde in den Falten ihres Rocks verschwinden und folgte ihm. »Davon verstehst du nichts.«
    Schon wieder hatte sie ihn überrascht. Paulus fragte sich, ob es wirklich ein so guter Einfall gewesen war, sich mit ihr zu verbünden. Er kannte sie nicht, nicht im Geringsten. Die Begegnung mit Nox hätte ihm eine Lehre sein sollen. Traue keinem Fremden! Ein ungutes Gefühl dehnte sich in seiner Brust aus.
    »Davon verstehe ich sehr wohl etwas«, sagte er, als sie durch das Tor kamen. »Und ich bin es allmählich leid, dauernd von dir verschaukelt zu werden.«
    Doch das Misstrauen legte sich wieder, als sie das Salzgassentor problemlos passiert hatten. Also waren sie nicht annähernd verdächtig.
    »Ich habe Hunger.« Jenne klang kleinlaut.
    »Du versuchst abzulenken.«
    »Ich habe wirklich Hunger. Seit gestern Mittag habe ich nichts mehr zwischen die Rippen bekommen, und das war auch nur ein dünnes Wassersüppchen.«
    Paulus musste einräumen, dass auch ihn ein Loch im Bauch plagte. Der Duft, der ihnen auf der Salzgasse entgegenwehte, vergrößerte das

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