Domfeuer
der Macht des Rheins ausgesetzt. Des Sommers drohten Treibgut und des Winters Eisgang die Schiffskörper zu beschädigen oder gar fortzureißen. Daher waren die Mühlen auch in der Nacht, wenn sie nicht mahlten, mit einer Wache besetzt. Erst vor einigen Wochen, als der Rhein nach einem harten Winter freigetaut war, hatte eine verspätete Eisscholle kurz vor Sonnenaufgang die Mühle Otto zwar nicht gerammt, aber doch gestreift. Während der Müllersknecht auf der Otto selig weiterschlummerte, nahm Ulf im Schlaf wahr, was auf der Nachbarsmühle geschah – die Otto bekam immer mehr Schlagseite, drohte bald zu sinken und alle Mühlen der Unterreihe bei ihrer Fahrt auf den Grund des Rheins mitzureißen. Ulfs irre Rufe weckten viele Knechte der anderen Mühlenschiffe, und nachdem sie den verschlafenen Knecht der Otto gerettet hatten, kappten sie gemeinsam die Taue, die das sinkende Schiff in der Unterreihe hielt. Die Otto war verloren. Doch die anderen Mühlen der Reihe waren dank Ulf gerettet worden.
Auch nun dauerte es nicht lange, bis das Klappern der Mehlschaufel auf dem Mühlrad Ulfs Schlummer beendete. Ein wenig unbeholfen wankte er aus dem Mühlhaus und rieb sich die Äuglein. Als er Barthel nicht entdeckte, flackerte sein Blick hin und her.
»Gegrüßet seist du, sei doch, voll der Gnaden, doch ohne Barthel nicht, kein Barthel nicht, gebenedeit sei er doch, bitte für mich, so bitte, bitte, sag mir doch, lieb Bärbel mein, jetzt in dieser Stunde …«
Bärbel hob beruhigend die Hand. »Schon gut, Ulf. Barthel hat in der Stadt zu tun, und wir beide müssen die Stellung halten.«
Das schien Ulf Erklärung genug zu sein. Er machte sich daran, das Mahlwerk vorzubereiten, und Bärbel war froh, dass er sein loses Mundwerk hielt. Lange würde es nicht mehr dauern, bis die Bäckerei des Damenstiftes an der Kirche der heiligen Ursula ihr Korn zum Mahlen bringen ließ.
Mitten auf dem Domhof hielt Konstantin inne und wandte sich um. Er legte den Kopf in den Nacken, um den Dom zu betrachten. Ausgerechnet hier, mitten in der heiligsten Stadt nach Jerusalem und Rom, sollte der Teufel zu Werke gehen und die Wachen auf der Dombaustelle überlisten? Der Dombaumeister musste verrückt sein. Oder selbst vom Teufel besessen. Es gingen ja schon eine ganze Weile die Gerüchte, dass Gerhard einen Pakt mit dem Fürsten der Finsternis geschlossen habe, um dieses aberwitzige, ja hochmütige Werk des Domneubaus vollenden zu können.
Konstantin sah sich um. Eine Gruppe albernder junger Domschüler schickte sich an, eine Messe in Sankt Mariengraden zu besuchen, der Kirche zu Füßen des Doms, deren Stufen hinab zum Rhein führten. Links davon steuerten zwei ehrenwerte Schöffen das Hochgericht an. Auf der Gegenseite des Domhofs waren mehrere Mönche, die an ihrem schwarzen Habit als Benediktiner zu erkennen waren, unterwegs in den Palast des Erzbischofs. Drüben lag der blaue Stein, an den der Scharfrichter einen Verurteilten vor der Hinrichtung zu stoßen pflegte, um ihm zu zeigen, welches Stündlein ihm geschlagen hatte. Nicht weit davon stand einer der Pranger, an denen Urteile des Hochgerichts schnell vollzogen werden konnten. Und der nahe Kamphof diente Zweikämpfen, die das Gericht bestimmt hatte.
Nein, hier hatte der Teufel keinen Platz, denn hier herrschte Gerechtigkeit, dies war das heilige Herz Kölns. Nirgends sonst im Umkreis von tausenden Meilen gab es mehr Priester, Mönche und Nonnen, und nirgends sonst mehr Kirchen, Klöster und Kapellen, die wie die Vorburgen des Glaubens um den Dom standen, um ihn gegen das Böse zu verteidigen. Köln war die vollkommene Festung Gottes.
Doch bei diesem Gedanken wuchs in Konstantin das Bedauern. Dies war der letzte Tag des alten Doms, wie ihn die Stadt seit Jahrhunderten kannte. Morgen schon würde Gerhard mit dem Abbruch beginnen. Die Festung stand vor der Zerstörung.
Konstantin erschauderte plötzlich. Was, wenn das gar kein so guter Plan war? Wenn Gott mit seinem alten Haus vollauf zufrieden war? Wenn er gar nicht wollte, dass die Kölner ihm einen Bau auf die Erde pflanzten, der bis in seinen Himmel emporstreben sollte? Was, wenn der Allmächtige es deswegen zuließ, dass der Teufel sein Unwesen auf der Baustelle trieb? Wenn er Zeichen gab, die seine Geschöpfe nur richtig zu deuten hatten?
Wenn dem so wäre, hätte Gerhard es mit einem viel mächtigeren Gegner zu tun als nur mit dem Teufel.
Konstantin wollte weder diesen Gedanken noch die vier Morde der vergangenen Nacht
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