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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Vlaminck
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weiterverfolgen. Er hatte ein anderes Übel bei der Wurzel zu packen.
    Bei der Zahnwurzel.
    Irmel holte Schwung und schüttete den Inhalt ihres Nachttopfs durch das Fenster. Klatschend landete die Pisse im Innenhof. Henner hatte seinen Frauen verboten, ihre Eimer auf die Straße zu entleeren, weil es sonst vor dem Haus gärte und wenig einladend roch. Irmel konnte es dem Hurenwirt nicht verdenken. Allein ihr Wasser genügte, alle Gäste in die Flucht zu schlagen. Seit Monaten schon stank es morgens wie Höllenschwefel, und oft war es blutig eingetrübt. Sie hasste sich selbst dafür, dass sie verfiel.
    Irmels schmerzende Knochen nahmen ihr die Lust, frisches Wasser aus dem Brunnen zu holen, um sich die Nacht aus dem Gesicht zu waschen. Warum auch? Sie erwartete keinen Freier. Zu dieser frühen Stunde verirrte sich kaum ein Mann in Henners Hurenhaus. Allenfalls ein Knecht, den seine Herrin auf den Markt geschickt hatte und der es wagte, eine der ihm anvertrauten Münzen für ein leichtes Mädchen statt für leckeren Maifisch auszugeben, um dann nachher treuherzig zu behaupten, dass die Krämer auf dem Markt viel zu hohe Preise verlangten. Auch wenn die Auswahl, die ein früher Besucher im Hurenhaus hatte, gering sein mochte, würde er sich gewiss nicht für Irmel entscheiden. Nicht für eine Frau, die seine Großmutter oder wenigstens seine Mutter sein könnte. Nein, sie kam allenfalls zum Zug, wenn alle anderen Mädchen bereits beackert wurden und der Lendendruck bei einem Kunden groß genug war.
    Umso überraschter war Irmel, als jemand ihre Tür aufstieß. Und umso enttäuschter, als sie sah, wer da ihre Kammer betrat.
    »Kannst du nicht klopfen?«, brummte sie. »Was, wenn ich einen Freier gehabt hätte?«
    Matthias setzte sich gleich auf die Bettstatt und legte ein gefaltetes Tuch neben sich. Irgendetwas war darin eingeschlagen. Seine Augen waren unterlaufen. Er sah schlecht aus.
    »Hast du Paulus gesehen?«, sagte er ohne Umschweife.
    Irmel knallte den Nachttopf in die Ecke und warf die Hände in die Luft. »Was habe ich nur falsch gemacht? Nicht einmal eines Grußes bemüßigt sich mein verkommener Sohn.«
    »Morgen, Mutter.«
    »Wie lange haben wir uns nun schon nicht mehr gesehen? Ein halbes Jahr? Länger? Und dann wagst du es, hier hereinzuschlurfen und nicht einmal zu fragen, wie es mir geht? Wofür habe ich dich nur unter Schmerzen auf die Welt gebracht, obwohl ich mir ein Balg gar nicht erlauben konnte?«
    Matthias sah sie mit einem bitterbösen Blick an. Als wollte er sagen, sie solle sich ihre Boshaftigkeiten für ihre anderen unerwünschten Kinder aufbewahren. Als wollte er ihr zeigen, dass diese Masche bei ihm nicht zog. Aber er lächelte. Es sah gequält aus. Matthias nahm das Tuch auf seinen Schoß und faltete es auf. Darin eingeschlagen war ein Stück Brot.
    »Von Henner. Er hat es mir mitgegeben. Er sagte, du könntest ein wenig mehr Speck auf den Rippen vertragen. Wäre besser fürs Geschäft.«
    Irmel nahm es und begann zu kauen. »Dieser Trottel. Dann soll er mir doch Speck statt Krümel geben.«
    »Du gibst deinen Kindern nicht einmal die Möglichkeit, bessere Menschen zu werden, Mutter. Weil du sie gar nicht zu Wort kommen lässt.«
    »Dann bin ich sehr gespannt, was du zu sagen hast.«
    »Ich habe mich gestern Abend Paulus gegenüber nicht so verhalten, wie es sich für einen Bruder gebührt. Nun suche ich ihn, finde ihn aber nicht. Im Lagerhaus, in dem er immer schläft, hat ihn in dieser Nacht niemand gesehen. Da dachte ich, er ist vielleicht mal wieder bei dir untergeschlüpft.«
    »Was willst du von ihm?«
    Matthias zog die Nase hoch. »Mich bei ihm entschuldigen.«
    »Oho, schlägt denn jetzt wenigstens einer meiner Söhne den Weg der Rechtschaffenheit ein? Das will ich erst glauben, wenn ich es sehe.«
    »Ich hatte getrunken. Paulus meinte es gut, aber ich hab’s wieder einmal verbockt. Also muss ich die Dinge wieder geraderücken.«
    »Ich dachte, du seist nicht mehr gut auf ihn zu sprechen, seit er sich von dir und dem Bettlerleben losgesagt hat.«
    »Wir sind Brüder, Mutter. Nichts ist dicker als Blut.«
    Irmel konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf ihr Gesicht stahl. »Das ist gut so, mein Sohn.« Sie legte das Brot zurück ins Tuch und stand auf. Sie trat an den Balken, an dessen Kopf sich die Ritze befand, in der sie ihren Geldbeutel versteckte. »Du weißt, was sich da oben befindet?«
    Matthias nickte. Natürlich wusste er es.
    »Recht und Gesetz scheren mich

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