Domfeuer
stehend ihre Füße nicht sehen konnte, aber das genügte ihr nicht. Jedenfalls nicht für die Menge an Kindern, die sie gern stillen würde. Zwei Kinder nur konnte sie an die Brust nehmen, zwei weitere, die ein wenig älter waren, kamen tagsüber in ihre Obhut, jedoch nicht mehr, um gestillt zu werden.
Lisgen ging es nicht ums Geld. Nun, nicht nur. Als Amme konnte sie ja doch nicht reich werden. Sie liebte es schlicht, die Brust zu geben. Schon damals, als sie mit ihrem Siebrecht niedergekommen war, hatte Lisgen sich wie eine Lebensspenderin gefühlt, ja wie eine Schöpferin. Vielleicht war das zu hochmütig gewesen. Vielleicht hatte der Herr es ihr deshalb versagt, weitere Kinder zu bekommen. Lisgen aber war es gelungen, Sühne und Sünde zu vereinen. Als Amme konnte sie es weiterhin genießen, Milch und Leben zu spenden. Und sie konnte Gutes und somit Buße tun für die Anmaßung, sich als Gebärende ein wenig gottgleich gefühlt zu haben. Sie konnte Müttern helfen, deren Milch nicht einschoss oder versiegt war.
Solange es eben ging, wollte Lisgen saugende Kinder an ihren Brüsten haben. Inzwischen waren ihre Brustwarzen auf eine beachtliche und wenig ansehnliche Größe gewachsen. Ihr aber war das gleich. Ihre milchtriefenden, langen Nippel waren der Beweis für ihren Dienst an den unschuldigen Lämmern der Herde Christi.
An Tagen wie diesen ging sie gern mit den ihr anvertrauten Kindern die paar Schritte hinüber in den Baumgarten an der Kirche Sankt Georg. Andere Ammen wickelten die Säuglinge stramm in Tücher und legten sie in eine Decke oder auf ein Häuflein Stroh. Lisgen aber liebte es, mit den Kindern im Gras zu liegen, wenn die Wärme die Blüten in die Kirschbäume trieb. Ihr Siebrecht kletterte dann in den Ästen des größten Baumes umher, und sie kitzelte die Kleinen mit einem Halm. Wenn die Kinder schliefen, sah Lisgen hinüber zur Viehtränke auf dem Waidmarkt und stellte sich vor, wohin die Pferde, die dort ihren Durst stillten, wohl noch reiten mochten.
Auch nun wollte sie wieder mit den Kindern in den Baumgarten, denn das Wetter war zu dieser frühen Stunde bereits herrlich. Als sie ein Brot und etwas Griebenschmalz in ein Tuch wickelte, hielt sie ein Klopfen an der Tür zurück. Lisgen öffnete nur einen Spalt weit. Ihr Vermieter fand bedauerlicherweise ebenso viel Gefallen an ihren Brüsten wie die Kleinen und sah für ihren Geschmack etwas zu oft nach dem Rechten, vor allem dann, wenn ihr Mann Heribert im Severinsstift die Ställe ausmistete und die Pferde striegelte.
Doch vor der Tür stand ein Unbekannter. Ein sehr gut aussehender Unbekannter. Einer von jener Sorte, bei der sie ihren Heribert schon mal vergessen konnte. Nicht zu groß, nicht zu dürr, ein schönes Gesicht mit klaren Zügen. Und dazu grüne Augen, deren Blick einen Stein zum Schmelzen bringen konnte. Der junge Mann sah ein wenig gehetzt aus. Doch das wirkte sogar – niedlich. Auf jeden Fall schien der Unbekannte mindestens ebenso überrascht wie Lisgen selbst. Wenn sie doch nur nicht immer die Kinder um sich hätte.
»Ja, bitte?«, sagte sie.
»Ist Jax da?«
»Jax?«
»Ja, Jax. Ist er da?«
»Wer bist du überhaupt?«
»Jenne schickt mich.«
Lisgen verzog das Gesicht. Natürlich. Jenne mal wieder. Der Kerl musste ebenso dumm wie gut aussehend sein. Bei ihr müsste der süße Narr keine Münze neben die Bettstatt legen.
»Also, ist er da?« Der Mann versuchte, über ihre Schulter in die Kammer zu lugen.
»Ja, er ist da.« Lisgen wippte ein wenig auf den Fußballen, um seinen Blick wieder auf sich zu lenken.
»Kann ich ihn sprechen?«
»Sprechen?«
»Ja, Herrgott noch mal, sprechen. Ist das denn alles so schwer zu begreifen?«
»Immer mit der Ruhe.« Die leichte Zornesröte stand dem Unbekannten gut zu Gesicht. Und Lisgen spürte, wie ein wenig Spannung in ihre Brustwarzen geriet. Wohlige Spannung. »Komm doch erst einmal herein.«
Sie trat beiseite und ließ den Fremden ein, der sich sogleich in der Kammer umschaute. Doch außer den beiden Säuglingen, die auf einer Decke in einer hölzernen Kiste lagen, und den beiden Krabbelkindern, die im Stroh gespielt hatten und ihn nun neugierig beobachteten, war niemand in der Kammer.
»Du willst also Jax sprechen.«
»Ja. Kannst du ihn nun endlich holen, bitte?«
»Hast du es denn wirklich so eilig? Mach es dir doch ein wenig gemütlich.« Lisgen deutete auf die Holzbank, die an einem Tisch stand. »Ich kann dir auch gern etwas Wein einschenken.«
»Ich habe
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