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Domfeuer

Domfeuer

Titel: Domfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Vlaminck
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Wasser zu einem Brei angedickt, ließ er sich hervorragend wiederverwenden. Die Pracht der Römer war für die Christen gerade mal als Mörtel gut genug. Nur den großen Stein unter Paulus’ Hintern hatten die Bauleute wohl übersehen.
    Paulus mochte die Kirche, weil sie ihm Jesus Christus näher brachte als jedes andere Kölner Gotteshaus – der Chor von Sankt Maria im Kapitol besaß denselben Grundriss wie die Geburtskirche in Bethlehem. Das hatte Paulus von einem redseligen Küster erfahren, der jedoch nicht zu berichten wusste, wie Äbtissin Ida, die die Kirche vor zweihundert Jahren hatte erbauen lassen, an die Bethlehemer Pläne gekommen war. Wegen der Ähnlichkeit mit der Geburtskirche aber war der Brauch entstanden, dass der Kölner Erzbischof die erste von drei Messen in der Weihnacht stets in Sankt Maria im Kapitol las.
    So wie vor einem halben Jahr. Paulus’ Gedanken glitten zurück zu jenem Tag, an dem Angela ihm zum ersten Mal begegnet war. Oder besser gesagt: erschienen  war.
    Mit Matthias, seinem ältesten Bruder, hatte er in der Weihnachtsnacht genau hier vor Sankt Maria im Kapitol gehockt und brav gebettelt. Nun ja, zumindest gebettelt, wenn auch nicht ganz brav. Paulus hatte auf dem Boden hockend den Krüppel gegeben und seine gesunden Beine unter Lumpen versteckt, während sein Bruder, der Stimmgewaltige und Gewitzte, allen Kirchgängern nach der Christmette ihr ach so großes Leid klagte. Und dann kam sie und mit ihr der Augenblick, in dem Paulus sich wünschte, Matthias würde doch endlich sein vorlautes Mundwerk halten. Sollte sie glauben, er sei ein Krüppel? Eine Last für seine Familie? Ein Trottel, der seines Beines verlustig gegangen war, nur weil er betrunken unter der Karre eines Brauers geschlafen hatte, der am nächsten Morgen losgefahren war, ohne sich um den armseligen Jungen zu scheren? Doch Matthias plärrte immer weiter, um die anderen Bettler zu übertönen, die ähnliche und schlimmere und wahrscheinlich ebenso geflunkerte Gebrechen hatten.
    Und wohl weil sein Bruder so laut rief und immer auf ihn zeigte, sah sie ihn.
    Er hatte im Erdboden versinken wollen. Er hatte sie umarmen wollen.
    Sie war so schön wie ein Frühlingsmorgen und ihr mitleidiges Lächeln so wärmend wie die milde Herbstsonne. Hätte Paulus nicht schon auf dem Boden gehockt, wäre er am liebsten auf die Knie gesunken. Sie schwebte so schnell und erhaben an ihm vorbei, dass er glaubte, einen Engel gesehen zu haben.
    »Der Herr möge es Euch vergelten«, stammelte er ihr hinterher. Dabei hatte sie ihm gar nichts gegeben.
    Als er es endlich schaffte, seinen Mund wieder zu schließen, bevor seine Zunge gefror, war sie bereits in der Menge verschwunden. Aber wenigstens hatte sie ihm einen Blick geschenkt. Und den Hauch eines Lächelns. Es schien ihm das Teuerste auf der Welt.
    Während Matthias die wegen des hohen Festes reiche Ausbeute zählte, konnte Paulus nur noch an sie denken. War sie in Begleitung gewesen? Er wusste es nicht. Wohin war sie gegangen? Er wusste es nicht. Eines aber wusste er. Sie hatte ihr Haar offen getragen. Also war sie unverheiratet. Kaum ließ dieser Gedanke sein Herz hüpfen, schalt er sich auch schon einen Toren. Ein Engel an der Seite eines Lumpen? Unvorstellbar. Er hätte heulen können.
    Matthias zog ihn erst mit derben Sprüchen auf und zerrte ihn dann am Mantelkragen weiter nach Sankt Cäcilien nahe dem Neumarkt. Dort las der Erzbischof nach altem Brauch und nach einem kurzen Ritt auf einem weißen Maultier im Morgengrauen die zweite Messe der Weihnachtsnacht, und dort sicherten sie sich bereits jetzt den besten Platz, um ihren Auftritt zu wiederholen. Trotz der Kälte war die ganze Stadt mitten in der Nacht auf den Beinen. Glockengeläut aus allen Kirchen, Stiften und Klöstern ließ Köln erbeben. Die Menschen waren frohgemut und ausgelassen. Aber Paulus’ Herz flog am höchsten.
    Es flog noch ein ganzes Stück höher, als er sie vor Sankt Cäcilien wiederentdeckte. Er musste sie übersehen haben, als sie hineingegangen war, doch als sie die Kirche verließ, kam sie direkt auf Matthias und ihn zu, als habe sie gewusst, wo genau er sich inmitten all der Bettler und Kirchgänger befand. Ein Engel, sie musste wahrlich ein Engel sein. Alle Messen besuchte sie, die der Erzbischof in der Heiligen Nacht und am ersten Weihnachtstag las, sie war fromm und rein. Und nun durften seinetwegen alle Umstehenden glauben, dass sie ein Wunder wirkte, einen Lahmen gehend machte. Er schob die

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