Domfeuer
Lumpen über seinen Beinen beiseite – und stand auf.
Und sie – lachte. In seinen Ohren klang es wie das schönste Spiel von Zimbeln, Harfen und Schellen. Weiß der Himmel, was sie über ihn dachte. Aber er hörte ihr Lachen und bekam eine Ahnung vom zauberhaften Klang ihrer Stimme. Dafür zahlte er gern den Preis der Lächerlichkeit.
Die himmlische Musik endete so plötzlich, wie sie eingesetzt hatte. Ein mahnendes Wort kam von irgendwoher, und sie verstummte, senkte den Kopf und verschwand in der Menge. Sein Herz wollte davonhüpfen. Ihr hinterher.
Bevor Matthias ihn zurechtweisen konnte, weil er gerade durch die Aufdeckung seiner Beine und damit des Betrugs ihr beider Erträge aufs Spiel gesetzt hatte, rannte Paulus ihm davon. Nicht ihr hinterher. Aber durch die Hosengasse in die Straße vor Sankt Peter, wo das Viertel der Färber, Gerber und Walker begann. Er setzte über einen Zaun in den Hof eines Wollwäschers und fand bald einen Bottich klaren Wassers. Mit der bloßen Hand durchschlug er die Eisschicht und tauchte seinen Kopf in das Wasser. Die Kälte stach wie tausend Nadeln in sein Gesicht. Und doch wusch er sich, als wollte er sein gesamtes altes Leben von der Haut spülen. Paulus wusste genau, wenn der Erzbischof seine dritte Messe dieses Tages kurz nach Sonnenaufgang im Dom las, würde sie wieder unter den Kirchgängern sein. Und wenn sie dann in den Domhof trat, würde er sie erwarten, sauber und aufrecht stehend. Vielleicht würde er sie ansprechen. Wenigstens aber würde er ihr folgen, um zu erfahren, wo sie wohnte, in angemessenem Abstand natürlich, um sie als ehrbare Jungfrau nicht in Verlegenheit zu bringen.
Seinen Bruder fand er auf dem Weg zum Dom und auch im Domhof nicht wieder. Vermutlich mied Matthias die Bettlerhaufen aus Sorge, die Büttel könnten wegen Paulus’ Torheit nach den beiden Betrügern Ausschau halten. Paulus aber fürchtete nichts und niemanden, nur eines: seinen Engel nicht mehr wiederzusehen. Ein erhöhter Platz vor der Pfalzkapelle, die den meisten Messbesuchern als Ausgang diente, sollte dies verhindern. Schon als das Agnus Dei aus der Kathedrale erklang, lange vor dem Ende des Gottesdienstes, schwang er sich auf einen Fenstersims des gegenüberliegenden Bischofspalasts und hielt gespannt Ausschau. Irgendwann öffnete sich unter Glockengeläut das Portal, und im Licht des jungen Tages ergoss sich der Strom der Menschen in den Domhof, wo die Bettler ihn empfingen. Paulus konnte über die Köpfe auf dem Platz hinwegsehen, hinüber zum Portal. Immer mehr Menschen spie der Dom aus, immer mehr Gesichter erschienen in seinem Blickfeld, bis sie bald völlig verschwammen und Paulus sich die müden Augen rieb. Als er sie wieder öffnete, stand sie da, unbeweglich, drüben im Domportal, und sah zu ihm herüber. Frauen, Männer und Kinder strömten an ihr vorbei, doch sie rührte sich nicht.
Er hob die Hand. Sie senkte schamhaft den Kopf.
Paulus glitt vom Sims und bahnte sich einen Weg durch die Menge, fest entschlossen, sie anzusprechen, vielleicht sogar nach Hause zu geleiten. Aber als er sie erreichte, fand er sie inmitten einer Familie, deren Anblick jedes Wort auf seinen Lippen ersterben ließ. Der Vater war ein wuchtiger Patron, und seine Kleidung verriet seine hohe Stellung. Er trug eine Pelzmütze und einen Mantel aus pelzgefüttertem Scharlach, den eine goldene Spange vor der Brust schloss, Handschuhe aus feinem Leder und ebensolche Stiefel. Der Mann atmete Macht, und seine Frau, seine Söhne, Töchter und das Gesinde fügten sich unter seine starke Hand. Ein Patrizier. Paulus wusste, er konnte den Augen dieses Mannes nicht standhalten. Er verkroch sich in der Menge und entschied zu beobachten.
War sie seine Tochter? Unerreichbar? Oder war sie Magd? In weiter Ferne zwar, aber doch erreichbar?
Ihr Überwurf war aus einem guten Stoff, aber er gab keinen Hinweis auf ihren Stand. Doch als sich die Familie in Bewegung setzte, ging sie am Ende der Gruppe. Paulus hatte seine Antwort. Sie gehörte zum Gesinde.
Das war der Augenblick, in dem er sich in den Kopf gesetzt hatte, sie zum Weib zu nehmen. Dafür musste Paulus ihrem Vater, wer auch immer das sein mochte, den Beweis erbringen, dass er sie ernähren konnte. Er folgte der Familie bis zu ihrem Haus nahe am Heumarkt und fand heraus, dass es die Mummerslochs waren, ein reiches Patriziergeschlecht. In den folgenden Tagen legte er sich auf die Lauer, der Kälte zum Trotz.
Irgendwann gelang es ihm, sie abzupassen. Sie
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