Domfeuer
mussten. Von den beiden war nichts zu sehen. Wohl aber von Nox. Sein breites Kreuz verschwand in der Menge in Richtung Dom.
»Ihm nach«, sagte Barthel. »Ich wette, wenn wir ihm folgen, finden wir Paulus und Jenne.«
Fast hätten sie ihn ausgetrickst. Aber eben nur fast. Als Nox an der Mauer angekommen war, hatte er erst einmal dumm aus der Wäsche geschaut. Paulus und das Mädchen schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Auf seine innere Stimme war jedoch Verlass. Sind deine Feinde nicht vor dir, hatte sie gesagt, sind sie hinter dir. Ein Blick über die Schulter hatte der Stimme recht gegeben. Die beiden liefen genau dorthin, woher er gerade gekommen war. Sie mochten ihn für einen Moment übertölpelt haben. Entkommen waren sie ihm noch nicht.
Paulus und Jenne hasteten zum Dom hinüber. Am Eingang in die Vorhalle mussten sie schubsen und drängeln, denn die Zahl der Menschen, die mit der Sänfte in die Kathedrale gelangen wollten, war noch immer groß. Doch die Bewaffneten hatten Befehl, niemanden außer den Thomaschristen sowie den Männern von Domkapitel und Richerzeche in den Dom einzulassen.
»Hast du seinen Blick gesehen, als er uns auf der Mauer entdeckt hat?«, fragte Jenne, als sie das Portal erreichten.
»Was meinst du?«
»Es schien ihm gleich zu sein, wie viele Zeugen er im Domhof haben könnte. In seinen Augen hat schiere Mordlust gestanden. Er will uns umbringen, Paulus.«
»Das hast du auf diese Entfernung sehen können?«
»Das hätte ein Blinder gesehen. Wenn ihn tausend Zeugen schon nicht schrecken, meinst du dann, er respektiert heiligen Boden?«
»Der heilige Boden wird ihn nicht zurückhalten. Sehr wohl aber die Tatsache, dass es wenige Ausgänge und viele Bewaffnete gibt. Nein, er wird uns in der Kirche nichts antun.«
»Doch wir sitzen wie Drosseln in der Falle.«
»Nichts da. Nox kennt sich im Dom nicht aus. Hoffe ich. Wir sind wieder draußen, bevor er überhaupt weiß, dass wir drin waren.«
Doch zunächst einmal gelangten sie gar nicht erst hinein in den Dom. Zwar waren sie dicht an die Sänfte und an den Löwen und seinen Führer herangelangt, die nahezu gleichzeitig das Portal erreicht hatten, aber gekreuzte Spieße verwehrten ihnen den Zugang. Sie kamen nicht mehr voran. Paulus spürte sein Herz schneller schlagen. Die Katze, die zwischen ihnen und dem Portal stand, war riesig. Er sah über die Schulter zurück auf den Domhof. Nox’ bulliger Schädel war auch in der Menge nicht zu übersehen. Der Mörder hatte ihn ins Visier genommen.
»Irrtum«, sagte Jenne, die das Unheil ebenfalls kommen sah. »Wir sitzen jetzt schon in der Falle.«
Nox kam näher. Schon war er fast am Portal angelangt. Er war nur noch wenige Schritte von den beiden entfernt und trieb sie weiter voran. Paulus und Jenne schoben sich an den Menschen vorbei, die noch zwischen ihnen und dem Löwen standen.
»Hast du Angst vor Katzen?«, fragte Jenne und packte Paulus an der Hand.
Bevor er antworten konnte, zog sie ihn weiter.
Und bevor Paulus sie zurückhalten konnte, hatte sie dem Löwen bereits auf den Schwanz getreten.
Der Löwe fuhr herum, riss das Maul auf, brüllte und fauchte. Konstantin machte einen Satz weit weg von den geifertriefenden Reißzähnen, und die Menge um ihn herum fegte unter Schreien auseinander. Nur die Träger der Sänfte schienen gänzlich unbeeindruckt und bewegten sich keinen Schritt von der Stelle. Guido stemmte sich mit aller Kraft gegen die Kette. Das Tier zurückhalten konnte er nicht. Die Pranken wirbelten umher, nach rechts, nach links, bis der menschenleere Kreis um Sänfte und Löwe viel größer geworden war. Die Raubkatze wirkte wie ein wild gewordener Hüter des Domportals.
Konstantin fluchte laut. Die Stimmen! Diese Stimmen!
Erst vor ein paar Stunden hatte er die Stimmen auf dem Marktplatz gehört, kurz bevor Rodderick ihm ein glühendes Eisen in den Mund gesteckt und Konstantin das Bewusstsein verloren hatte. Und nun hatten die beiden Gesuchten schon wieder direkt vor seiner Nase gestanden, und schon wieder hatten sie sich in Luft aufgelöst, bevor er in ihre Gesichter hatte blicken können.
Hatte das Mädchen dem Löwen gerade tatsächlich auf den Schwanz getreten? Was zum Henker ging hier vor?
Konstantin blickte die Stufen hoch zu Guido, der beruhigend auf den Löwen e Und nun hatten die beiden Gesuchten schon wieder direkt vor seiner Nase gestanden, und schon wieder hatten sie sich in Luft aufgelöst, bevor er in ihre Gesichter hatte blicken
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