Don Camillo und seine Herde
der Priester etwas Falsches tut oder sogar Anlaß zum Ärgernis gibt.
Der alte Rocchi fehlte natürlich bei keinem Gottesdienst, hatte eine Familienbank in der ersten Reihe und konnte so Don Camillos Handeln von A bis Z folgen. Während der Messe wandte er sich hie und da an seine Frau und sagte mit einem spöttischen Lächeln: «Er hat etwas ausgelassen.» Oder: «Wo hat er nur heute wieder seinen Kopf.» Oder: «Er ist nicht mehr der alte Don Camillo.»
Und am Schluß pflegte er sich in den Pfarrhof zu begeben, um Bemerkungen über die Predigt zu machen und Ratschläge zu erteilen. Don Camillo war bestimmt nicht ein Typ, der sich wegen eines alten Rocchi zu viel den Kopf zerbricht; aber es war ihm dennoch lästig, diese Augen immer im Rücken zu fühlen, und wenn er während der Messe das Bedürfnis hatte, sich zu schneuzen, hob er die Augen zum Gekreuzigten und betete im Geiste: «Jesus, hilf mir, mich so zu schneuzen, daß daraus kein Ärgernis entsteht.»
Rocchi war nämlich äußerst streng in den Fragen der Form. «Wenn sich der Erzpriester von Treville während der Messe schncuzt, merkst du es nicht; bei diesem aber gleicht es einer Posaune des Jüngsten Gerichts», hatte er mehr als einmal bemerkt.
Kurz und gut, Rocchi war ein solcher Typ, und wenn der liebe Gott erlaubt, daß es solche Typen gibt, dann heißt das, daß auch sie notwendig sind. Er hatte drei Söhne und eine Tochter, Pao-lina, das schönste und tugendhafteste Mädchen der ganzen Gegend. Und gerade Paolina ließ eines Abends Don Camillo im Beichtstuhl in die Höhe fahren.
«Ich kann dir die Absolution nicht erteilen, ehe du nicht tust, was du tun mußt», sagte Don Camillo.
«Ich habe verstanden», antwortete das Mädchen.
Das ist eine in dieser Gegend übliche Geschichte, und wenn man sie verstehen will, müßte man eine Zeit in den niedrigen Häusern an den Streifen längs des Flusses wohnen, die Julisonne auf dem Schädel spüren und an einem Augustabend den riesigen, roten Mond hinter dem Damm aufsteigen sehen. Alles schaut in der Ebene der Bassa unbeweglich aus, und man hat die Vorstellung, daß sich zwischen diesen verlassenen Dämmen niemals etwas ereignet und in diesen roten und blauen Häusern mit den kleinen Fenstern nichts geschehen kann. Es geschehen aber mehr Dinge als im Gebirge oder in den Städten, weil diese verdammte Sonne den Leuten ins Blut geht. Und dieser rote und ungeheure Mond ist nicht der gewöhnliche kalte Mond anderer Gegenden, denn auch er setzt in der Nacht zu und erhitzt das Gehirn der Lebenden und die Gebeine der Toten. Und wenn im Winter die Kälte und der Nebel über der Ebene liegen, die im Sommer aufgespeicherte Hitze ist dann immer noch so stark, der Verstand der Leute ist noch nicht so abgekühlt, um sich die im Sommer vollbrachten Dinge zu überlegen, und so speit hie und da ein Gewehr hinter einer Hecke Feuer, oder ein Mädchen tut, was es nicht tun darf.
Paolina kehrte heim, und als die Familie den Rosenkranz beendet hatte, sagte sie zum Vater:
«Papa», sagte sie, «ich muß mit Euch sprechen.»
Die anderen gingen ihren Dingen nach, das Mädchen und der alte Rocchi blieben allein am Herd.
«Was gibt es?» fragte mißtrauisch der Vater.
«Es geht darum, an meine Hochzeit zu denken.»
Rocchi zuckte mit den Achseln.
«Daran ist nicht zu denken. Es ist nicht deine Sache. Wenn es soweit ist, werden wir schon den Richtigen finden.»
«Es ist soweit», erklärte das Mädchen, «und ich habe den Richtigen gefunden.»
Rocchi machte große Augen.
«Marsch ins Bett, und daß ich dich nie mehr so reden höre!» brüllte er.
«Ist gut», antwortete das Mädchen. «Ihr werdet aber die anderen darüber reden hören.»
«Hast du Ärgernis gegeben?» schrie entsetzt Rocchi.
«Nein, aber das Ärgernis wird ausbrechen. Es sind Dinge, die sich nicht verbergen lassen.»
Rocchi packte den ersten besten Gegenstand, der ihm unter die Hände kam, und das war unglücklicherweise ein halber Pfahl. Das Mädchen verkroch sich in einer Ecke, versuchte, wenigstens den Kopf zu schützen, und blieb dort, unbeweglich und lautlos unter diesem wahren Gewitter von Prügeln.
Sie hatte aber Glück im Unglück, denn der Pfahl zerbrach, worauf sich der Alte beruhigte.
«Wenn du das Unglück hast, noch am Leben zu sein, dann stehe auf!» sagte der Vater.
Das Mädchen stand auf.
«Niemand weiß es?» fragte Rocchi.
«Nur er...» flüsterte das Mädchen.
Da vergaß sich der Alte und begann von neuem, mit einem Stock
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