Don Camillo und seine Herde
die Gefahr, daß jemand ertrinkt. Und überall, wo die Gefahr besteht, daß jemand ertrinkt, muß man auf der Hut sein. Wenn ein Bruder, der hundert Meilen entfernt wohnt, dringend eine Arznei braucht, die du besitzest, und wenn du ihm diese Arznei, die nur ein Gramm schwer ist, nicht anders bringen kannst als mit einem riesigen achträdrigen Lastwagen, der imstande wäre, fünfhundert Zentner zu befördern, wirst du es vielleicht bedauern, daß du dieses Verkehrsmittel benützen mußt, das in gar keinem Verhältnis zur Ladung steht, oder wirst du vielmehr Gott danken, daß du ein solches Mittel zur Verfügung hast? Und außerdem, Don Camillo, bist du sicher, daß du ein in einen winzigen Bergsee gepferchtes Ozeanschiff bist? Ist das nicht eher eine häßliche Sünde der Hoffart? Bist du nicht vielmehr von tausenden und aber tausenden Booten eines, das auf hoher und stürmischer See segelt und mit Gottes Hilfe den Wellen entrinnt und nun glaubt, ein Ozeandampfer zu sein, und das wenige Wasser eines Bergsees geringschätzt?»
Don Camillo senkte demütig das Haupt.
«Jesus», seufzte er, «ich bin ein ganz bescheidenes Boot, das der stürmischen See nachweint. Darin liegt meine ganze Sünde, eine Sünde des Bedauerns. Ich denke an jene, die ich dort unten verlassen habe. Schon drei Monate weiß ich nichts mehr von ihnen, und der Gedanke macht mich rasend, daß sie mich vielleicht schon vergessen haben.»
Christus lächelte.
«Es ist schwer, einen so großen Priester zu vergessen.»
Don Camillo begab sich wieder in den Pfarrhof. Die Kammer war fast finster, weil der Docht plötzlich Mucken hatte. Don Camillo suchte die Schere, um ihn zurechtzuschneiden, als man jemanden ans Fenster klopfen hörte.
Don Camillo dachte unwillkürlich an den Alten, der neben dem Brunnen wohnte. «Sicherlich hat er mir nicht gefolgt», sagte er für sich, «und, anstatt ins Bett zu gehen, Holz gehackt. Jetzt braucht er die Letzte Ölung.»
Er machte die Läden auf und erblickte ein häßliches, fremdes Gesicht.
«Man kommt nicht um halb zwölf Uhr nachts, um einen Ehrenmann zu stören», rief Don Camillo mit schroffer Stimme. «Was wünschen Sie?»
«Hochwürden, machen Sie auf!» antwortete der andere. «Lassen Sie mich hinein.»
«Ich empfange nicht Leute, die nicht zu meiner Pfarre gehören», erwiderte Don Camillo und schloß das Fenster.
Dennoch ging er aufmachen. Der Mann kam herein und fiel erschöpft auf einen Sessel.
Don Camillo fand die Schere, brachte den Docht in Ordnung, und die Flamme der Öllampe brannte wieder heller.
«Na und?» fragte er, ohne den Mann mit einem einzigen Blick zu würdigen. «Darf man wissen, was los ist?»
«Ich habe eine große Dummheit gemacht!» antwortete Peppone mit dramatischem Gehaben.
Don Camillo begab sich in die Ecke und zog die Uhr auf.
«Nichts Neues also», murmelte Don Camillo. «Allerdings, wenn du entschlossen bist, mich jedesmal zu verständigen, wenn du eine Schweinerei machst, dann wird es besser sein, du richtest gleich eine Fernsprechleitung von deinem Haus bis hierher ein. Bleibst du lange hier?»
Peppone trocknete die Stirn.
«Hochwürden, ich bin in einer schweren Lage», rief er.
«Das ist klar, wer Dummheiten macht, kommt in Verlegenheit; du hast dich jedenfalls in der Adresse geirrt. Du mußt dich an das Zentralkomitee der Partei wenden. Hier ist außerdem Sperrstunde. Um halb zwölf Uhr nachts empfangen Ehrenmänner keine Besuche mehr.»
Peppone sprang auf. «Ich bin schon um neun Uhr gekommen!» behauptete er angriffslustig.
Es tut mir leid, daß du so lange warten mußtest», erklärte Don Camillo. «Ich versichere dir aber, daß ich dich erst jetzt gesehen habe. Wo warst du denn zwischen neun und halb zwölf Uhr?»
«Bei Ihnen», antwortete Peppone.
Don Camillo schaute ihn sehr besorgt an.
Im Dorf ging es nach Don Camillos Abreise so zu, wie es zugehen mußte. In seinem Bestreben, seine Nase ständig in alle politischen Verwicklungen zu stecken und überall persönlich einzuschreiten, war es nämlich Don Camillo gelungen, die Dinge so zu Ende zu bringen, daß er immer als unmittelbarer Gegenspieler der Roten dastand.
Mit einem Wort, jede Auseinandersetzung, die sich zwischen den Roten und ihren natürlichen Gegnern abspielte, wurde schließlich zu einer persönlichen Angelegenheit zwischen Don Camillo und Peppone. Und so war Don Camillo der Blitzableiter, an dem sich die Blitze der Roten entluden. Und weil Don Camillo zwei gewaltige Schultern hatte,
Weitere Kostenlose Bücher