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Don Fernando erbt Amerika

Titel: Don Fernando erbt Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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vorbeiging, pfiff er auf alle Wikingerehre der Welt und knallte ihr eine. Und dann ging er heim.
    Die nächsten dreißig Jahre hätten aus einem weniger langlebigen Mann einen winselnden Greis gemacht. Erik hatte den Kampf gegendie »Thor« aufgenommen. Und die »Thor« hatte in ihrer Existenz als zweitältestes Versicherungsunternehmen der Welt noch nie, kein einziges Mal, für einen Schaden bezahlt. 6
    Er studierte jeden Passus, kidnappte Rechtsgelehrte aus jedem bekannten Land der Erde und studierte alle Gesetzesbücher, die er heranschaffen konnte. Schließlich siegte er durch schiere Ausdauer – er überlebte fast alle Manager der »Thor« bis auf einen, gegen den er dann einen triumphalen Sieg auf dem berühmten Thing 1264 davontrug. Mit der Versicherungsprämie übernahm er die »Thor«, nachdem er den noch lebenden Manager im Zweikampf besiegt hatte, und wurde ein gewiefter Fachmann in allen Versicherungsfragen. Das war der Anfang seiner Karriere.
    Ende des 17. Jahrhunderts gehörte Erik der Großteil der Hanse, Reykjavik, und er hatte Anteilsscheine auf Grönland. Außerdem florierte seine Anwaltskanzlei, denn er hatte sich tatsächlich die Mühe gemacht, auf der Universität Leiden und auf der Universität Prag seinen Doktor iuris utriusque zu bauen. Er wollte sich nie wieder auf einen anderen Juristen verlassen müssen. Aber es war ein langer, steiniger Weg bis dahin gewesen und Erik hatte eines Tages mit einigem Scharfsinn vorausgesehen, wie sich die amerikanischen Kolonien entwickeln würden. Kurz bevor diese revoltierten, verfrachtete Erik seine Habe (vierzehn Hansekoggen voller Akten und Büromaterial) in die Neue Welt. Er war nicht abergläubisch, sofern das einem Mann möglich ist, der aus unerfindlichen Gründen bereits gut fünfhundert Jahre alt ist. Trotzdem zog er den Kopf zwischen die Schultern, als erdas zweite Mal amerikanischen Boden betrat. Aber diesmal geschah nichts. Kein Knall, kein Raumschiff.
    1772 war er angekommen. Vier Jahre später, in denen Erik viel aus dem Verborgenen heraus gewirkt hatte, standen die dreizehn Kolonien gegen England auf. Die USA waren geboren. Ein ziemlich alter Wikinger war Hebamme gewesen, wenn er schon nicht Vater hatte sein können.
    Dafür war Kolumbus aber auch tot, hatte Erik damals befriedigt gedacht.
    In den darauffolgenden Jahren hatte er seine Anwaltskanzlei auch in der Neuen Welt zum Erfolg geführt. Erik hatte den Namen »Eriksen, Eriksen und Eriksen« abgelegt. Die Psychologie der Neuengländer geschickt einschätzend und eine geniale Werbestrategie des 20. Jahrhunderts vorwegnehmend, hatte er seine Kanzlei umgetauft. Sie hieß nun Gierschlund & Raffke .
    Dem konnte keiner widerstehen. Schon gar nicht, wenn er Puritaner war und einen Anwalt brauchte.
    So kam es, dass Erik mit dem Land wuchs. Er hätte schon zehnmal Präsident sein können, aber warum sollte er Macht abgeben?
    Nur … diese Macht hatte einen Nachteil. Sie war anonym. Das Problem mit einer Demokratie ist nämlich, dass Gerichtsverhandlungen öffentlich sind. Und es hätte komisch gewirkt, wenn plötzlich irgendein cleverer Journalist in den Archiven geblättert und herausgefunden hätte, dass die gerissensten Anwälte, die in den letzten zweihundertfünfzig Jahren vor Gericht aufgetreten und jeden ihrer Fälle gewonnen hatten, einander verblüffend ähnlich sahen. Deshalb hatte Erik sich schon vor einiger Zeit dazu entschlossen, gleichzeitig mehrere Anwälte zu sein – etwa sechs. Dafür brauchte er das Büro. Von den 800 Quadratmetern waren 200 sozusagen Bühne: Büros, Schreibmaschinen, Computer, Akten. Die restlichen 600 waren Maske. Erik hatte eine der exquisitesten Maskenbildnereien der Welt in seinem Hinterzimmer. Er war ein Meister der Verwandlung geworden. Erkonnte sich in einem Gerichtssaal – wenn er nur Gelegenheit hatte, sein Taschentuch nach einem Niesen vors Gesicht zu führen – in einer Viertelminute vom agilen Mr. Connors in den gesetzten, älteren Mr. King senior verwandeln. Tatsächlich hatte er das einmal tun müssen, als ein Richter darauf bestanden hatte, mit beiden Verteidigern zu sprechen. Er hatte oft geniest, aber den Fall gewonnen.
    Natürlich widerte ihn das an. Schließlich war er Wikinger, dieses Versteckspiel, dieses Tuntengehabe mit der Schminkerei und dem ewigen Sterben, Auferstehen und dem neuen Namen, den man beim Unterschreiben nicht verwechseln durfte … Das hatte er schon lange satt. Immerhin war er Erik der Rote. Er hatte dieses blöde Land

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