Don Fernando erbt Amerika
Granada, den 30. April 1492 .
Wir, Ferdinand und Isabella, von Gottes Gnaden König und Königin von Kastilien, Leon, Aragonien, Sizilien, Granada, Herzöge von Athen und Neopatrien, Grafen von …
Kretschmers Stimme verhallte in den frühmorgendlich dunklen Zimmern des Rathauses. Schweigen. Dann sagte der Bürgermeister wütend: »Na und? Deswegen hat mich dieser Drecksack in einen Keller gesperrt und vor der ganzen Stadt lächerlich gemacht? Bloß weil er dieses Papier wollte? Amerika ist doch schon seit hundert Jahren unabhängig!«
»Seit zweihundertzwanzig«, korrigierte Kretschmer ihn milde und fuhr fort, wobei er sich mit der Hand die Stirn rieb, »das ist nicht das Problem. Er hieß Fernando Colon, oder?«
Der Bürgermeister nickte.
»Dann ist dieser Mann entweder ein Spinner, der sich für Colon hält, oder er ist pervers alt geworden. Dieses Papier stammt von 1521.«
»Kein Mensch wird dreihundertfünfzig Jahre alt!«, rief der Bürgermeister erregt.
»Vierhundertfünfundsiebzig!«, sagte Kretschmer müde. »Das weiß ich auch. Aber warum wollte er dann diesen Fetzen im Original? Das Teil hat keinerlei Rechtsgültigkeit mehr.« Er überlegte lange. Der Bürgermeister zupfte an seinem Höschen herum. So betrachtet, fand er, stand es ihm gar nicht schlecht. Kretschmer sagte nachdenklich:
»Der Mann war Spanier! Wenn wir uns das noch mal ganz genau überlegen, dann steckt vielleicht die spanische Regierung dahinter. Wenn – nur mal angenommen, es könnte passieren –, wenn sie also dieses Dokument haben und sich ein Erbe von Kolumbus finden ließe, der seine Rechte an Spanien abtritt und Spanien am Internationalen Gerichtshof den Hauch einer Chance hätte, dass diese Rechte anerkannt werden, dann wäre Spanien mit einem Schlag das reichste Land der EU und Deutschland dagegen Drittes Reich. Äh, Dritte Welt, wollte ich sagen.«
»Quark!«, sagte der Bürgermeister. »Der Mann ist schlicht irre. Kein Gerichtshof der ganzen Welt kann das Rad der Geschichte zurückdrehen. Amerika hat eine Evolution gemacht.«
»Revolution«, sagte Kretschmer verzweifelt und rieb sich wieder müde die Stirn. »Ich glaube, wir kümmern uns besser wieder um Ihr Image im Wahlkampf, Chef. Wir müssen viel offensiver werden.«
»Ja«, sagte der Bürgermeister versonnen, »vielleicht sollten wir Plakate von mir in diesem Outfit machen. So à la: ›Bürgermeister räumt Rotlichtbezirk auf!‹«
»Klar, Chef«, sagte Kretschmer und wollte eigentlich weinen. »Aber vorher rufe ich mal unsere Rechtsabteilung wegen des Dokuments an.«
Er wählte die Privatnummer des Chefanwalts und steckte die wütende Tirade wegen des frühmorgendlichen Anrufs ohne Wimpernzucken weg. Dann erläuterte er kurz den Sachverhalt und fragte nach der Meinung des Anwalts. Als er diese zu hören bekam, musste er denHörer ein Stück vom Ohr weghalten, und so erfuhr auch gleich der Bürgermeister die Antwort.
»Nein!«, schrie es aus der Muschel. »Niemals! Verjährt! Vergessen! Vorbei! Diesen Rechtsanspruch erkennt kein Gericht der Welt mehr an! Und rufen Sie mich nie, nie, nie, nie, nie wieder um sechs Uhr morgens bei meiner Freundin an! IST DAS KLAR? Sonst erzähle ich nämlich morgen im Radio ein paar interessante Dinge über die abgelaufene Legislaturperiode Ihres Chefs. KLAR?«
»Klar!«, sagte Kretschmer resigniert und legte auf. Nach diesen letzten vierundzwanzig Stunden begann er, den Spruch »Lieber tot als rot!« noch einmal zu überdenken.
8 99 Prozent aller Wünsche gehen in Erfüllung!
22
»Kein Gerichtshof auf der ganzen Welt?«, fragte Erik, der zusammen mit Christoph, Bébé, Kathrin, Fernando, Esteban und Gilead im Nürnberger Flughafencafé saß und ein paar Hörnchen aß. »Das möchte ich so nicht sagen.«
»Ach?«, erwiderte Fernando. »Wie möchten Sie es dann sagen?«
»Gar nicht«, sagte Erik, der sich ein paar Krümel aus dem brandroten Bart wischte und aufstand. »Jedenfalls nicht hier und nicht, ohne das Dokument gesehen zu haben. Haben Sie eine vernünftige Bleibe oder muss ich ins Hotel?«
Christoph und Bébé boten ihre Wohnung an, und so nahmen sie zwei Taxen in die Innenstadt. Erik sah sich voller Neugier die Stadt an, als sie auf dem Ring gen Burg fuhren.
»Warum haben Sie denn das alles wieder aufgebaut?«, fragte er schließlich verwundert. »Kein Mensch braucht heutzutage noch eine Burg. Und ich spreche aus Erfahrung«, fügte er hinzu.
»Weil wir das erstens nicht waren«, sagte Bébé, »und
Weitere Kostenlose Bücher