Don Fernando erbt Amerika
zugigen Gang herumstehen.
»Also gut«, flüsterte er Kretschmer zu, »Sie klopfen auf mein Kommando.«
Er zählte leise bis drei. Kretschmer klopfte. Hinter der Tür war nichts zu hören. Kretschmer sah zu Köberlein, der nickte ihm aufmunternd zu. Kretschmer donnerte gegen die Tür. Wieder war ein Schlurfen zu vernehmen. Die Tür öffnete sich, und aus dem Munde des Archivars, der die Hundertschaft der Polizei schlichtweg übersah, drang ein tonloses »Ja?«.
»Jetzt!«, schrie Kretschmer – und die ersten Blendgranaten flogen. Der Nebelwerfer hatte den Gang in Sekunden in undurchdringlichem Dunst verschwinden lassen, und die Polizisten, gedeckt durch Schilde, rückten vor.
»Sind Sie angemeldet?«, drang eine ruhige Stimme klanglos durch den Nebel.
Ein wilder Kampfschrei, offensichtlich von Kretschmer ausgestoßen, feuerte die Polizisten an und die drangen, nunmehr mit barbarischem Gebrüll, vor und überrannten den Archivar einfach. Noch unter ihren Stiefeln sagte der röchelnd:
»Wir machen heute Inventur. Kommen Sie nächste Woche wie–«
Der Rest war nicht zu vernehmen. Kretschmer jubelte, als er im Vorraum des Archivs stand und den Zettelkasten erblickte.
»Da ist er! Zehn Mann zum Katalog, der Rest kommt mit mir.«
Johlend folgten ihm neunzig Polizisten, die sich sehr auf die Aussicht freuten, ungestraft üble Schäden an städtischem Eigentum anrichten zu dürfen. Köberlein stand an die Tür gelehnt und suchte nach einer passenden Zeile wie:
»Moment, Kretschmer, noch gebe ich hier die Befehle!« oder: »Zivilisten halten das Maul!« Aber er hatte ja nicht einmal stahlblaue Augen und außerdem war er sehr müde und sehnte sich nach einem Croissant.
Es ist nicht einfach, ein Archiv einzunehmen, das nicht eingenommen werden will. Zwar ist sich die Archivargilde noch nicht einig darüber, ob Polizisten tatsächlich menschliche Wesen sind und somit als »Unbefugte« gelten, die keine Einsicht in Dokumente nehmen dürfen, aber dieses (akademischen) Rechtsstreits ungeachtet, verteidigen alle Archivare ihr Hoheitsgebiet gegen jeden Eindringling bis zum Letzten. Daher nimmt es auch nicht wunder, dass in diesem kleinen, vormals wohlgeordneten Archiv ein Guerillakrieg entbrannte, wie er auch im vietnamesischen Dschungel kaum effektiver hätte geführt werden können.
Kretschmer bog gerade mit einer Vorhut Polizisten in den Gang »1521-1546, A-G«, als ein Schatten in den turmhohen Regalen über ihm weghuschte.
»Feuer frei!«, schrie er begeistert, was Köberlein vorne an der Türdazu bewegte, still mit den Händen die Augen zu bedecken und sich ein duftendes Croissants vorzustellen.
Fünf oder sechs Polizisten rissen ihre Maschinenpistolen hoch und nahmen die rechte obere Hälfte des Regals unter Beschuss. Papier rieselte herab. Ein Buch, Folioformat, schob sich über den Rand des Regals, kippte, fiel und schlug klatschend auf dem Boden auf, wobei sich der schwere lederne Einband öffnete. Gelber Pergamentstaub wirbelte in einer Wolke auf und hüllte die Polizisten ein. Plötzlich griff sich der erste an die Kehle, röchelte, hustete, fiel nach Atem ringend zu Boden und kroch mit letzter Kraft davon. Die nächsten folgten bald mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen.
»Buchgas!«, schrie ein junger Polizeianwärter in namenlosem Schrecken.
»Volle Deckung!«
Ein zweiter Zug, erfahrene Polizisten mit schwerem Atemgerät, rückte im Laufschritt an, stieg voller Verachtung über die noch immer keuchenden Opfer des ersten Angriffs hinweg und verteilte sich grimmig schweigend um das Regal »1509-1520, A-Q«. Schweres Geschütz wurde aufgefahren. Aus dem Halbdunkel, das voller Pulverdampf, Qualm und Buchgas war, zogen zwei Mitglieder einer Spezialeinheit einen kleinen Mörser. Knapp unter der Decke konnte man im unsteten Licht der schwankenden Deckenlampen viele grotesk verkrümmte Schatten eiligst auf den obersten Buchreihen umherhasten sehen. Auch die Archivare bezogen offenbar Stellung.
Köberlein und der Bürgermeister waren herangekommen, beide mit Gasmasken. Der Bürgermeister hatte einen Zettel aus dem Katalog in der Hand und machte Köberlein wilde Zeichen, welches Regal unbedingt erobert werden müsse. Köberlein nickte und gab die Anweisung wie selbstverständlich an Kretschmer weiter, der sich ebenfalls eine Gasmaske und ein leichtes Maschinengewehr beschafft hatte. Aus den entfernteren Teilen des Archivs drangen Geschützlärm und wilde Schreie, man hörte tonnenschwere Regale umstürzen und
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