Don Fernando erbt Amerika
des Kanisters nicht genau, wohin er lief. Zwar konnte er als Langlebiger im Wein atmen, aber sein Selbstbewusstsein litt darunter, dass er wie ein zu großer Fisch in einem Rotweinaquarium aussah. Carlos hatte ihm außerdem die Hände mit Einweckgummi auf dem Rücken gefesselt, weshalb sich José im Augenblick nicht aus eigener Kraft befreien konnte. Allerdings auch nicht mit fremder Hilfe, denn Christoph und Bébé lagen unter dem Couchtisch und brüllten vor Lachen. José wankte weiter durch die Wohnung und suchte nach Rettung, indem er seinen Kopf samt Kanister gegen jede erreichbare Kante donnerte. An Bébés Verstärker jedoch hatte er schließlich Erfolg. Der Kanister platzte, und ein Schwall billigen Lambruscos ergoss sich in die Röhren des kostbaren Marshall -Gerätes. Bébé lachte plötzlich gar nicht mehr. Er war mit einem Sprung neben José und schleuderte ihn beiseite. Mit einem bösen Funkeln in den Augen stellte er sich schützend vor den Verstärker und sagte zu dem unglücklichen José:
»Gnade dir Gott, wenn du ihn kaputt gemacht hast!«
Dann schaltete er ihn an. Ein hustendes Puffen entrang sich der betagten Maschine und eine schwächliche Flamme schlug aus dem Lautsprecher. Dann explodierte er mit einem mittleren Knall und Christoph flogen diverse Magneten um die Ohren. Was ihn nicht hinderte, sich weiterhin seinem Lachkrampf hinzugeben. Mittlerweile hatte er Schwierigkeiten, Luft zu bekommen. Bébé auch. Aber aus anderen Gründen. Er stand fassungslos vor den rauchenden Trümmern seines Verstärkers, der ihm fünfzehn Jahre lang auf sämtlichen Bühnen Nürnbergs und Fürths treue Dienste geleistet hatte. Tränen standen ihm in den Augen. Seine Hände zuckten unkontrolliert, und José zog es vor, in einer Rotweinspur zu Carlos in die Küche zurückzukriechen.
»Das … glaube … ich … einfach … nicht!«, sagte Bébé fassungslos. »Dieser blöde José hat meinen Marshall -Ver–«, er stockte, schluckteund sah schließlich beleidigt zu Christoph. »Hör auf zu lachen, du Ratte! Das ist kein Spaß mehr.«
Christoph biss sich hart auf die Lippen. Trotzdem stieg noch ab und zu ein Kichern in ihm hoch.
»Lass mal«, sagte er schließlich tröstend. »Wenn Fernando mit seinem Erbe durchkommt, gehört ihm Amerika. Wir setzen ihm den Turm auf die Rechnung, okay?«
Bébé gab dem zerstörten Kanister einen Tritt, nickte aber widerstrebend. »Banausen«, murmelte er noch, bevor auch er wieder grinsen musste.
Carlos kam händeringend aus der Küche.
»Wir brauchen anständigen Wein für das Essen, aber wir haben kein Geld mehr!«
Christoph sah Bébé ratlos an. Bébé zuckte die Schultern. Dann kam ihm ein böser Gedanke. Er grinste Christoph breit an und fragte Carlos: »Sag mal, Carlos, du bist doch gläubiger Katholik. Du kannst die Ketzer nicht leiden, oder? Findest doch auch, dass man sie auf den rechten Weg zurückführen muss?«
Carlos bekreuzigte sich als Antwort. Bébé nickte zufrieden, dann wandte er sich wieder Christoph zu und sagte: »Du erinnerst dich sicher noch, als wir 15 waren und auch kein Geld für Wein hatten? Weißt du noch, was wir damals gemacht haben?«
Christoph sah ihn an. Dann verstand er plötzlich. Er wich zurück:
»Oh nein, Bébé, auf keinen Fall. Das machen wir mit Sicherheit nicht. Nie wieder!«
»Der Zweck«, sang Bébé fröhlich, »heiligt die Mittel. Und wenn ich von heilig spreche, meine ich heilig, nicht wahr?«
Christoph wehrte sich mit Händen und Füßen: »Nein, nein. Niemals. Nicht so. Ich kann das nicht mehr.«
»Oh ja, doch«, sagte Bébé, »das kannst du noch. Sehr gut sogar.«
Er wandte sich an Carlos: »Wir sind in einer halben Stunde wieder da.«
Sprach’s, nahm Christoph bei der Hand und zog den Widerstrebenden in sein Auto.
Ein Keller. Ein dunkler Keller. Kalt. Feucht. Unangenehm. Der Keller einer Kirche in Fürth. In dem Keller sind zwei Menschen. Wahrscheinlich sind sie eingesperrt worden, denn die Tür ist von außen abgeschlossen. Andererseits liegen da auch Scherben eines Kellerfensters herum. Innen. Vielleicht ist jemand durch das Fenster gekrochen, nachdem er das Eisengitter davor eingetreten hat. Das Fenster ist sehr schmal, aber der Koffer, den die beiden Menschen dabeihaben, könnte durchpassen.
»Um Gottes willen, sei endlich still«, zischte Christoph, »ich hör was.«
»Quatsch!«, gab Bébé zurück, senkte aber unwillkürlich die Stimme. Er fühlte sich plötzlich fünfzehn Jahre in der Zeit zurückversetzt.
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