Don Fernando erbt Amerika
auf, fragte nach Eriks Herkunft und Alter, klopfte ihm auf die Schulter und wollte mit ihm anstoßen. Anekdoten aus dem 16. Jahrhundert wurden ausgetauscht und gemeinsame Bekannte aus dem 18. durchgehechelt. Es war wie ein Klassentreffen in Hochpotenz, nur schlimmer. Christoph hingegen sank auf seinen Stuhl zurück und hatte plötzlich das Gefühl, alleine an einer großen Tafel zu sitzen. Er hatte das Gefühl, als sei dies das Ende seinerkleinen, kurzlebigen Welt, die er nichtsdestotrotz ganz gern mochte. Vor allem aber hatte er das Gefühl, im Vergleich zu seinen neuen Freunden verdammt alt und sehr müde zu sein.
Was er in Relation zu den jeweiligen, geschätzten Sterbedaten ja auch war.
Aber der Sturm bei den Langlebigen legte sich und Christoph kam wieder aus seiner Flaute heraus.
»Nachdem die Herren sich ein wenig beruhigt haben«, sagte er ironisch, »würde ich gerne wissen, was Sie zu tun gedenken, Herr Eriksen.«
»Das kann ich Ihnen sagen, mein Junge«, sagte Erik fröhlich. »Ich werde mich morgen mit diesem Dokument nach Amerika begeben und Sie alle sehr reich machen. Vor allem aber will ich Ihnen sagen, was Sie tun sollten.«
»Und das wäre?«, fragte Kathrin.
»Ich kann Sie nur dann sehr reich machen«, sagte Erik plötzlich bedächtig, »wenn Sie alle noch am Leben sind. Deshalb halte ich es für ratsam, wenn Sie alle untertauchen. Spätestens ab nächster Woche Mittwoch, wenn ich vor dem High Court stehe, werden Sie zu den meistgesuchten Personen auf dieser Erde gehören. Und zu den potenziell totesten.«
»Es gibt keine Steigerung zu tot «, sagte Kathrin automatisch.
»Für Langlebige doch«, antwortete Erik, »und für Sie macht es keinen Unterschied. Deshalb möchte ich, dass Sie ab nächstem Dienstag unauffindbar sind – und sich in kleine Gruppen aufteilen. Ich werde Ihnen allen eine Telefonnummer geben, unter der Sie mich zu festgesetzten Zeiten anrufen. Sie bleiben so lange von der Bildfläche verschwunden, bis Sie vor Gericht erscheinen müssen. Alles klar?«
»Nein«, sagte Bébé, »ich habe nächsten Samstag ein Konzert.«
»Nicht, wenn Sie tot sind«, sagte Erik lächelnd. »Vielleicht geben Sie es besser jetzt gleich, wenn es schon sein muss.«
»Ich habe hier aber keinen Verstärker«, sagte Bébé und warf einen bösen Blick zu Carlos.
»Dann spielst du unplugged«, sagte Kathrin und schmiegte sich an Don Fernando. »Das ist sowieso viel romantischer.«
›Toll‹, dachte Christoph, während Bébé nach der Gitarre griff und die anderen Spanier ihre Kastagnetten herausholten, ›das läuft wirklich toll!‹ Alle feierten und er saß mit Liebeskummer herum und war noch dazu ein Kurzlebiger. Und als er hörte, wie sein Vater mit Carlos ein Gespräch über die transzendentale Seite der Unsterblichkeit begann und Carlos Gefahr lief, in Kürze zum Protestantismus, wie ihn sein Vater verstand, zu konvertieren, schnappte er sich zwei Flaschen Messwein und wanderte in Richtung seines Zimmers, um sich dort still zu betrinken. Als er jedoch die Tür öffnete, sah er, dass schon jemand in seinem Bett lag. Wütend ging er hin, riss die Decke fort und wollte sagen:
»Hau ab, Junge, schlaf in Bébés Zimmer.«
Was er tatsächlich sagte, war: »O Gott, was für eine verdammte Scheiße! Gisela!«
»Nee!«, sagte sein Bruder unter Gisela hervor. »Das ist Nicola.«
23
In einer mittleren Yacht in der Mitte des Atlantiks bei mittlerem Seegang war jemand weit von jeder Mittelmäßigkeit entfernt. Leif hatte nämlich entdeckt, dass mittels einiger Neonröhren und einem behelfsmäßigen Holzfeuer sowie zentnerweise Kartoffeln, die aus unerfindlichen Gründen im Lagerraum gebunkert waren, ein nicht ganz schlechter Schnaps herzustellen war. Zwar schmeckte er grauenvoll (Leif hatte vergessen, den Vorlauf wegzugießen), aber er tat seine Pflicht.
Eigentlich kann man es sich als Langlebiger leisten, so lange auf dem Atlantik herumzukurven, bis man an irgendeine Küste kommt. Vor allem, wenn man einen ausreichenden Vorrat an Rohmaterialien für Schnaps hat. Leif allerdings wollte nicht auf dem Atlantik herumkurven. Er wollte nach Europa. Leif war aber auch seit langer Zeit, um genau zu sein seit seiner Landung an der amerikanischen Küste vor einigen Hundert Jahren, auf keinem Schiff mehr gewesen. Und Erik hatte ihn schon damals nie steuern lassen. Die Yacht hatte er sich nur gekauft, weil ein Rockstar eben eine Yacht hat, auch wenn kein Aas diesen Rockstar kennt. Aus sentimentalen
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