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Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens

Titel: Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Dann hörte ich sie als Musik - als Melodie von Stimmen - und ich »wußte«, sie sagte, »was willst du?« Ich kniete vor ihm, sprach über mein Leben und weinte. Er sah mich wieder an. Ich fühlte, daß seine Augen mich forttrugen, und ich glaubte, dieser Augenblick würde der Augenblick meines Todes sein. Er gab mir ein Zeichen, näherzukommen. Ich schwankte für einen Augenblick, bevor ich einen Schritt vorwärts machte. Während ich näherkam, wandte er seine Augen von mir ab und zeigte mir seinen Handrücken. Die Melodie sagte »sieh!«. In der Mitte seiner Hand war ein rundes Loch. »Sieh!« sagte die Melodie wieder. Ich sah in das Loch und sah mich selbst. Ich war sehr alt und schwach und lief gebückt, und helle Funken flogen überall um mich herum. Dann trafen mich drei der Funken, zwei in den Kopf und einer in die linke Schulter. Mein Körper in dem Loch richtete sich für einen Augenblick auf, bis er ganz grade war, und verschwand dann zusammen mit dem Loch. Mescalitos Augen sahen mich wieder an. Sie waren so nahe, daß ich sie sanft rollen »hörte« mit dem sonderbaren Klang, den ich so oft in dieser Nacht gehört hatte. Allmählich beruhigten sie sich, bis sie einem stillen See glichen, der von goldenen und schwarzen Blitzen gekräuseltwurde.
    Noch einmal wandte er seine Augen von mir und sprang wie ein Grashüpfer vielleicht fünfzig Meter weit. Er sprang wieder und wieder und war verschwunden. Dann erinnere ich mich, daß ich lief. Klar denkend versuchte ich Markierungspunkte zu erkennen, auch Berge in der Ferne, um mich zurechtzufinden. Während des ganzen Erlebnisses hatten mich Himmelsrichtungen verfolgt, und ich glaubte, daß Norden links von mir sein müßte. Ich ging ziemlich lange in diese Richtung, bevor ich merkte, daß es Tag war und daß ich nicht länger »meine Nachtvision^« gebrauchte. Mir fiel ein, daß ich eine Uhr hatte, und ich sah nach, wie spät es war. Es -war acht Uhr.
    Es war ungefähr zehn, als ich zu dem Felsvorsprung kam, wo ich in der letzten Nacht gewesen war. Don Juan lag auf dem Boden. »Wo bist du gewesen?« fragte er. Ich setzte mich, um Luft zu holen.
    Nach einem langen Schweigen fragte er: »Hast du ihn gesehen?« Ich begann ihm meine Erlebnisse der Reihe nach zu erzählen, aber er unterbrach mich und sagte, wichtig sei nur, ob ich ihn gesehen hätte oder nicht. Er fragte mich, wie nahe Mescalito an mich herangekommen war. Ich sagte ihm, daß ich ihn fast berührt hatte.
    Dieser Teil meiner Geschichte interessierte ihn. Er hörte jeder Einzelheit, ohne etwas zu sagen, aufmerksam zu und unterbrach mich nur, um Fragen zu stellen über die Art des Wesens, das ich gesehen hatte, über seine Charakteristika und über andere Einzelheiten. Es war ungefähr Mittag, als Don Juan von meiner Geschichte genug zu wissen schien. Er stand auf und band mir einen Leinenbeutel um die Brust; er sagte mir, ich solle hinter ihm gehen, und er würde Mescalito schneiden, und ich müsste ihn mit den Händen entgegennehmen und ihn sanft in den Beutel legen
    Wir tranken etwas Wasser und gingen los. Als wir den Rand des Tals erreichten, schien er einen Augenblick über die Richtung unsicher-. Als er sich entschieden hatte, folgten wir einer graden Linie.
    Jedesmal, wenn wir zu einer Peyote-Pflanze kamen, kniete er vor ihr nieder und schnitt mit einem kurzen, gezackten Messer sorgfältig die Spitze ab. Er machte in Bodenhöhe einen Einschnitt und streute auf die »Wunde«, wie er sie nannte, reinen Schwefelpuder, den er in einem Lederbeutel bei sich hatte. Er hielt den frischen button in der linken Hand und streute den Puder mit der rechten Hand Dann stand er auf und gab mir den button, den ich, so wie er mir gesagt hatte, mit beiden Händen entgegennahm und in den Beutel legte. »Steh grade und laß den Beutel nicht auf den Boden oder an die Büsche oder sonst irgendwas kommen«, sagte er wiederholt, als glaubte er, ich würde es vergessen.
    Wir sammelten fünfundsechzig buttons. Als der Beutel ganz voll war, band er ihn mir auf den Rücken und befestigte einen neuen auf meiner Brust. Als wir das Plateau überquert hatten, hatten wir zwei volle Säcke mit einhundertzehn Pe^oe-buttons. Die Beutel waren so schwer und prall, daß ich unter all dem Gewicht und der Masse kaum gehen konnte.
    Don Juan flüsterte mir zu, daß die Beutel schwer seien, weil Mescalito zur Erde zurückkehren wolle. Er sagte, die Trauer Mescalitos, der sein Zuhause verließ, mache sie schwer; meine wirkliche Aufgabe war

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