Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens
Natürlich ist ihre Begegnung mit ihmjedesmal erschreckend«
»Was geschieht, wenn er einen Mann vollständig annimmt?«
»Er erscheint ihm als ein Mann oder als ein Licht. Wenn ein Mann auf diese Weise angenommen wird, bleibt Mescalito derselbe. Danach verändert er sich nie. Vielleicht wird er, wenn du ihn das nächste Mal triffst, ein Licht sein, und eines Tages fliegt er vielleicht mit dir und zeigt dir all seine Geheimnisse.«
»Was muß ich tun, um bis zu diesem Punkt zu kommen, Don Juan?«
»Du mußt stark sein, und dein Leben muß ehrlich sein.«
»Was ist ein ehrliches Leben?«
»Ein aufmerksames, ein gutes, starkes Leben.«
Don Juan fragte mich regelmäßig so ganz nebenbei nach dem Zustand meiner Datura-Pflanze. In dem Jahr, das vergangen war, seit ich die Wurzel wieder eingepflanzt hatte, war die Pflanze zu einem großen Busch herangewachsen. Sie hatte Samen getragen, und die Samenkeime waren getrocknet. Don Juan entschied, daß es Zeit für mich war, mehr über das Teufelskraut zu lernen.
Sonntag, 27. Januar 1963
Heute gab mir Don Juan die ersten Informatioren über die »zweite Dosis« der Datura-Wurzel, den zweiten Schritt beim Erlernen des Brauches. Er sagte, die zweite Dosis der Wurzel sei der wirkliche Anfang des Lernens; im Vergleich dazu sei die erste Dosis ein Kinderspiel. Die zweite Dosis mußte gemeistert werden, bevor man zum dritten Schritt übergehen konnte. Ich fragte: »Was bewirkt die zweite Dosis?«
»Die zweite Dosis des Teufelskrauts wird zum Sehen gebraucht. Mit ihr kann ein Mann durch die Luft schweben und an jedem Ort, den er sich auswählt, sehen, was vor sich geht.«
»Kann ein Mann wirklich durch die Luft fliegen, Don Juan?«
»Warum nicht? Wie ich dir schcn gesagt habe, ist das Teufelskraut für die, die Macht suchen. Der Mann, der die zweite Dosis meistert, kann das Teufelskraut nehmen, um unvorstellbare Dinge zu tun, in denen er Macht findet.«
»Was für Dinge sind das, Don Juan?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Jeder Mensch ist anders.«
Montag, 28. Januar 1963
Don Juan sagte: »Wenn du den zweiten Schritt erfolgreich beendest, kann ich dir nur noch einen weiteren Schritt zeigen. Als ich über die yerba lernte, erkannte ich, daß sie nicht für mich war, und ich bin nicht länger ihren Weg gegangen.«
»Warum hast du dich dagegen entschieden, Don Juan?«
»Das Teufelskraut hat mich jedesmal, wenn ich versucht habe, es zu nehmen, fast umgebracht. Einmal war es sc schlimm, daß ich glaubte, ich sei erledigt. Und doch hätte ich all diesen Schmerz vermeiden können.«
»Wie? Gibt es einen besonderen Weg, Schmerzen zu verhindern?«
»Ja, es gibt einen Weg.«
»Ist es eine Fcrmel, eine Verhaltensweise, oder was ist es?«
»Es ist eine Art, nach den Dingen zu greifen. Als ich zum Beispiel über das Teufelskraut lernte, war ich übereifrig Ich griff nach Dingen sc, wie Kinder nach Süßigkeiten greifen. Das Teufelskraut ist nur einer von Millionen Wegen. Jedes Ding ist eins von Millionen Wegen (un camino entre cantidades de caminos). Darum mußt du immer daran denken, daß ein Weg nur ein Weg ist. Wenn du fühlst, daß du ihn nicht gehen willst, mußt du ihm unter gar keinen Umständen fclgen. Um sc viel Klarheit zu haben, mußt du ein diszipliniertes Leben führen. Nur dann wirst du wissen, daß ein Weg nur ein Weg ist, und dann ist es für dich oder für andere keine Schande, ihm nicht zu folgen, wenn es dein Herz dir sagt. Aber deine Entscheidung, auf dem Weg zu bleiben oder ihn zu verlassen, muß frei von Furcht oder Ehrgeiz sein. Ich warne dich. Sieh dir den Weg genau und aufmerksam an. Versuche ihn, so oft es dir notwendig erscheint. Dann stell dir, und nur dir selbst, eine Frage. Diese Frage ist eine, die sich nur alte Männer stellen. Mein Beschützer nannte sie mir einmal, als ich jung und mein Blut zu unruhig war, um sie zu verstehen.
Heute verstehe ich sie. Ich will dir sagen, wie sie lautet: Ist dieser Weg ein Weg mit Herz? Alle Wege sind gleicht: sie führen nirgendwo hin. Es gibt Wege, die durch den Busch führen oder in den Busch. Ich kann sagen, daß ich in meinem eigenen Leben langen, langen Wegen gefolgt bin, aber ich bin nirgendwo. Heute bedeutet die Frage meines Wohltäters etwas. Ist es ein Weg mit Herz? Wenn er es ist, ist der Weg gut; wenn er es nicht ist, ist er nutzlos. Beide Wege führen nirgendwo hin, aber einer ist der des Herzens, und der andere ist es nicht. Auf einem ist die Reise voller Freude, und solange du ihm folgst, bist du
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