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Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens

Titel: Don Juan 01 - Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui-Weg des Wissens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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konnte eine bestimmte Melodie erkennen. Es war eine Verbindung hoher Töne wie menschliche Stimmen, die von einer tiefen Baßtrommel begleitet wurden. Ich richtete meine ganze Aufmerksamkeit auf die Melodie, und wieder bemerkte ich, daß die Systole und Diastole meines Herzens mit dem Klang der Baßtrommel und der musikalischen Figur übereinstimmten Ich stand auf; und die Melodie verstummte. Ich versuchte, auf meinen Herzschlag zu hören, aber ich spürte ihn nicht. Ich kauerte mich wieder hin, weil ich glaubte, daß vielleicht meine Körperhaltung die Klänge bewirkt oder verursacht hatte! Aber nichts geschah! Nicht ein Klang! Nicht einmal von meinem Herzen! Ich glaubte genug zu haben, aber als ich aufstand, um zu gehen, fühlte ich einen Erdstoß. Der Boden unter meinen Füßen zitterte, ich verlor das Gleichgewicht. Ich fiel nach hinten und blieb auf dem Rücken liegen, während die Erde bebte. Ich versuchte, mich an einem Felsen oder einer Pflanze zu halten, aber etwas unter mir rutschte;. Ich sprang auf, stand einen Augenblick und fiel wieder hin. Der Boden, auf dem ich saß, bewegte sich, glitt wie ein Floß in das Wasser. Ich blieb reglos, überwältigt von Schrecken, der, wie alles andere auch, einzigartig, ununterbrochen und vollkommen war.
    Ich bewegte mich auf einem Stück Boden, das wie ein Baumstamm aus Erde aussah, durch das Wasser des schwarzen Sees. Ich hatte das Gefühl, von der Strömung in südlicher Richtung getragen zu werden. Ich konnte sehen, wie sich das Wasser um mich bewegte und strudelte Es fühlte sich kalt und merkwürdig schwer an. Ich glaubte, es lebte.
    Es gab keine erkennbaren Ufer oder Landzeichen, und ich kann mich nicht an die Gedanken oder Gefühle auf dieser merkwürdigen Reise erinnern. Stunden des Umhertreibens schienen vergangen, als mein Floß eine Drehung im rechten Winkel nach links, nach Osten machte.. Eine kurze Strecke glitt es weiter auf dem Wasser, bis es unerwartet auf etwas stieß. Die Wucht warf mich nach vorn. Ich schloß die Augen und spürte einen stechenden Schmerz, als meine Knie und meine ausgestreckten Arme den Boden trafen. Nach einem Augenblick sah ich auf. Ich lag auf dem Sand. Es war, als hätte sich mein steinerner Stamm mit dem Land vereint. Ich setzte mich auf und drehte mich um. Das Wasser wich zurück. Es bewegte sich rückwärts wie eine sich zurückziehende Welle, bis es verschwand.
    Lange saß ich dort und versuchte, meine Gedanken zu sammeln und all das, was geschehen war, in einen klaren Zusammenhang zu bringen. Mein ganzer Körper schmerzte. Meine Kehle fühlte sich wie eine offene Wunde an; ich hatte mir auf die Lippen gebissen, als ich »landete«. Ich stand auf.
    Im Wind spürte ich die Kälte. Meine Kleider waren naß. Meine Hände, mein Kiefer und die Knie zitterten so stark, daß ich mich wieder hinlegen mußte. Schweißtropfen liefen mir in die Augen und brannten, bis ich vor Schmerz schrie.
    Nach einer Weile hatte ich wieder etwas Kraft und stand auf. Um mich herum war alles klar im dunklen Zwielicht Ich ging ein paar Schritte. Ein deutlicher Klang vieler menschlicher Stimmen drang zu mir. Sie schienen laut zu sprechen. Ich folgte dem Klang; ich ging ungefähr dreißig Meter und konnte plötzlich nicht weiter. Ich hatte eine Sackgasse erreicht. Der Ort, an dem ich stand, war ein Kral, den riesige Felsen geformt hatten. Ich konnte eine weitere Felsenreihe erkennen, und dann noch eine und noch eine, bis sie in das Gebirge selbst übergingen. Aus ihnen kam die herrlichste Musik. Es war ein fließender, ununterbrochener, unheimlicher Strom von Klängen. Am Fuß eines Felsens sah ich einen Mann auf dem Boden sitzen; sein Gesicht war im Profil zu sehen. Ich näherte mich ihm bis auf ungefähr drei Metter; dann drehte er den Kopf und sah mich an. Ich blieb stehen - seine Augen waren das Wasser, das ich grade gesehen hatte! Sie hatten die gleiche, gewaltige Größe, das Glitzern von Gold und Schwarz. Sein Kopf war spitz wie eine Erdbeere; seine Haut war grün, von unzähligen Warzen übersät Bis auf seine spitze Form war sein Kopf genau wie die Oberfläche einer Peyde-Pflanze^. Ich stand vor ihm und starrte ihn an; ich konnte meine Augen nicht von ihm wenden. Ich fühlte, daß er mit dem Gewicht seiner Augen absichtlich auf meine Brust drückte. Ich bekam keine Luft. Ich verlor das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Seine Augen wandten sich ab. Ich hörte ihn mit mir reden. Zuerst war seine Stimme wie das sanfte Rascheln einer leichten Brise.

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