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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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»Aber wenn ich dich nicht um Erklärungen bitte, dann verstehe ich nichts. Keine Fragen zu stellen, das ist ganz unnormal für mich.«
    »Bitte, sei normal, um alles in der Welt!« sagte er mit gespieltem Ernst.
    Ich sagte, ich verstünde nicht den Unterschied zwischen glauben und glauben müssen. Für mich sei es dasselbe. Die Unterscheidung zwischen den beiden Aussagen erschiene mir als Haarspalterei.
    »Erinnerst du dich an die Geschichte von deiner Freundin und ihrer Katze, die du mir einmal erzählt hast?« fragte er beiläufig. Er sah zum Himmel hinauf, lehnte sich auf der Bank zurück und streckte die Beine. Er legte die Hände hinter den Kopf und spannte am ganzen Körper seine Muskeln an. Wie immer gaben seine Knochen laute, knackende Geräusche von sich.
    Worauf er angespielt hatte, das war eine Geschichte, die ich ihm einmal über eine Freundin erzählt hatte, die zwei kleine Kätzchen halbtot in der Trockentrommel einer Automatenwäscherei gefunden hatte. Sie brachte sie wieder zum Leben und päppelte sie durch vorzügliche Nahrung und Pflege zu zwei stattlichen Katzen heran, die eine schwarz, die andere rötlich.
    Zwei Jahre später verkaufte sie ihre Wohnung. Sie konnte die Katzen nicht mitnehmen und fand auch kein anderes Heim für sie; unter diesen Umständen blieb ihr nichts anders übrig, als sie in die Tierklinik zu bringen und einschläfern zu lassen. Ich half ihr, sie hinzubringen. Die Katzen waren noch nie in einem Auto gefahren. Die Freundin versuchte sie zu beruhigen. Sie kratzten und bissen sie, besonders die rötliche, der sie den Namen Max gegeben hatte. Als wir schließlich die Tierklinik erreichten, griff sie zuerst nach der schwarzen Katze. Sie nahm sie auf den Arm und stieg wortlos aus dem Auto. Die Katze spielte mit ihr und haschte mit dem Pfötchen nach ihr. während sie die Glastür zur Tierklinik aufstieß. Ich schaute mich nach Max um. Er hockte auf der Hinterbank. Meine Kopfbewegung mußte ihn erschreckt haben, denn er schoß unter den Fahrersitz. Ich ließ den Sitz nach hinten gleiten. Ich wollte nicht hinuntergreifen, denn ich fürchtete, er würde mich kratzen oder beißen. Der Kater lag in einer Vertiefung im Boden des Wagens. Er schien sehr aufgeregt. Sein Atem ging stoßweise. Er sah mich an. Unsere Blicke trafen sich, und mich überwältigte ein starkes Gefühl. Irgend etwas bemächtigte sich meines Körpers, eine Art Angst, Verzweiflung oder vielleicht auch ein schlechtes Gewissen, da ich an dem, was hier gespielt wurde, beteiligt war. Ich verspürte das Bedürfnis, Max zu erklären, daß es doch die Entscheidung meiner Freundin war und daß ich ihr nur dabei half. Der Kater schaute mich an, als verstünde er meine Worte. Ich schaute hinaus, ob sie schon zurückkäme. Ich sah sie hinter der Glastür. Sie ging zur Pförtnerloge. Mein Körper verspürte einen seltsamen Schock, und ganz automatisch öffnete ich den Wagenschlag. »Lauf, Max, lauf!« sagte ich zu dem Kater. Er sprang hinaus und schoß - flach am Boden geduckt, wie eine echte Raubkatze - über die Straße. Die Straßenseite gegenüber war leer. Dort parkten keine Autos, und so konnte ich Max sehen, wie er am Rinnstein entlang die Straße entlang raste. Er erreichte die Kreuzung mit einer breiten Allee und tauchte durch ein Gully in die Kanalisation hinab. Meine Freundin kam zurück. Ich sagte ihr, Max sei fort. Sie stieg ein und wir fuhren davon, ohne ein einziges Wort. In den darauffolgenden Monaten gewann der Zwischenfall für mich eine symbolische Bedeutung. Hatte ich es mir eingebildet oder sah ich wirklich ein unheimliches Flackern in Max' Augen, als er mich anstarrte, bevor er aus dem Auto sprang? Und ich glaubte, daß dieses kastrierte, überfütterte und nutzlose Haustier für einen Augenblick ein Kater geworden war. Ich sei davon überzeugt, erzählte ich Don Juan, daß, als Max über die Straße gerannt und in der Kanalisation verschwunden war, sein Katzengeist makellos gewesen und daß vielleicht zu keinem anderen Zeitpunkt seines Lebens seine Katzenhaftigkeit so offenbar gewesen sei. Der Eindruck, den dieser Zwischenfall bei mir hinterließ, war unvergeßlich. Dam als hatte ich die Geschichte allen meinen Freunden erzählt. Nachdem ich sie immer wieder zum besten gegeben hatte, gefiel ich mir sehr darin, mich mit dem Kater zu identifizieren. Ich stellte mir vor, ich sei wie Max, übermäßig verwöhnt, in jeder Hinsicht domestiziert, und doch konnte ich nicht anders als glauben, daß es stets die

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