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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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aber nicht darauf an, was du denkst. Ein Krieger, und in diesem Fall auch jeder andere, darf niemals wünschen, er wäre woanders. Ein Krieger, weil er gemäß der Herausforderung lebt - ein gewöhnlicher Mensch, weil er nicht weiß, wo sein Tod ihn finden wird. Schau dir den Mann da drüben im Gras an! Was, meinst du, fehlt ihm?«
    »Er ist betrunken oder krank«, sagte ich. »Er stirbt!« sagte Don Juan mit absoluter Gewißheit. »Als wir uns hier auf die Bank setzten, habe ich seinen Tod erspäht, wie er ihn umkreiste. Deshalb befahl ich dir auch, nicht aufzustehen. Mach, was du willst, du kommst von dieser Bank nicht los, bis es zu Ende ist! Dies ist das Omen, auf das wir gewartet haben. Es ist schon spät. Gleich wird die Sonne untergehen. Das ist deine Stunde der Kraft. Schau! Der Anblick dieses Mannes ist nur für uns da.« Er machte mich auf den Umstand aufmerksam, daß wir von unserem Platz aus eine unverstellte Sicht auf den Mann hatten. Auf der anderen Seite, uns gegenüber, sammelte sich eine Gruppe von Neugierigen im Halbkreis. Der Anblick dieses Menschen, der da im Gras lag, beunruhigte mich stark. Er war schlank und von dunklem Teint, noch ziemlich jung. Sein schwarzes Haar war kurz und lockig. Sein Hemd stand offen, und die Brust war entblößt. Er trug eine orangefarbene Strickjacke, die an den Ellbogen Löcher hatte, und eine abgewetzte graue Hose. Seine Schuhe, von einer undefinierbaren, verblichenen Farbe, waren aufgenestelt. Er lag reglos. Ich konnte nicht feststellen, ob er atmete. Ich fragte mich, ob er sterben würde, wie Don Juan gesagt hatte. Oder benutzte Don Juan den Vorgang etwa nur, um mir etwas zu erläutern? Meine bisherigen Erfahrungen mit ihm hatten mich überzeugt, daß es ihm irgendwie gelang, alles in sein mysteriöses System einzubauen.
    Nach langem Schweigen wandte ich mich ihm wieder zu. Er hatte die Augen geschlossen. Ohne sie zu öffnen, fing er an zu sprechen.
    »Der Mann wird gleich sterben«, sagte er. »Du willst es aber nicht glauben, nicht wahr?«
    Er schlug die Augen auf und sah mich eine Weile an. Sein Blick war so durchdringend, daß er mich betäubte. »Nein. Ich glaube es nicht«, sagte ich.
    Ich meinte wirklich, daß dies alles zu einfach sei. Wir hatten uns in den Park gesetzt, und schon - als sei alles inszeniert -lag da ein Mann im Sterben.
    »Die Welt paßt sich an sich selbst an«, sagte Don Juan, nachdem er meine Zweifel angehört hatte. »Dies ist keine abgekartete Sache. Dies ist ein Omen, ein Akt der Kraft. Die von der Vernunft aufrechterhaltene Welt macht aus all dem ein Ereignis, das wir einen Augenblick beobachten können, während wir unterwegs zu wichtigeren Dingen sind. Das einzige, was wir darüber sagen können, ist, daß dort ein Mann im Gras liegt - vielleicht betrunken. Die vom Willen aufrechterhaltene Welt macht es zu einem Akt der Kraft, den wir sehen können. Wir können sehen, wie der Tod um diesen Mann herumwirbelt und seinen Haken immer tiefer in seine leuchtenden Fasern senkt. Wir können sehen, wie die leuchtenden Fäden ihre Spannung verlieren und einer um den anderen verschwinden.
    Dies sind die zwei Möglichkeiten, die uns als leuchtenden Wesen offenstehen. Du stehst jetzt irgendwo in der Mitte, denn du willst immer noch alles unter die Rubrik Vernunft einordnen. Und doch, wie kannst du die Tatsache leugnen, daß deine persönliche Kraft ein Omen angezogen hat? Wir sind in diesen Park gekommen, nachdem du mich an der Stelle gefunden hattest, wo ich auf dich wartete - du fandst mich, indem du mir einfach über den Weg liefst, ohne zu denken, zu planen oder absichtlich deine Vernunft zu gebrauchen - und nachdem wir uns hierher gesetzt hatten, um auf ein Omen zu warten, entdeckten wir diesen Mann. Jeder von uns nahm ihn auf seine Weise wahr, du mit deiner Vernunft und ich mit meinem Willen.
    Dieser Sterbende ist einer jener Kubikzentimeter Chance, die die Kraft für einen Krieger stets bereithält. Die Kunst des Kriegers ist es, dauernd beweglich zu sein, um ihn zu packen. Ich habe ihn gepackt. Aber hast du es auch?« Ich konnte nicht antworten. Mir war ein gewaltiger Riß in meinem Innern bewußt geworden, und einen Moment wußte ich irgendwie um die zwei Welten, von denen er sprach. »Welch ein großartiges Omen!« fuhr er fort. »Und das alles für dich. Die Kraft zeigt dir, daß der Tod ein unentbehrlicher Bestandteil des Glaubenmüssens ist. Ohne das Bew u ßtsein vom Tode ist alles gewöhnlich, banal. Nur deshalb, weil der Tod uns

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