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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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meine Kirschen. Ich hätte krachend Diamanten zerbeißen können. Das war kein Genuss mehr.
    Versöhnung im Bett. Ihre Pobacken waren eiskalt. Keine Kirschen im April. Ende April zog sie aus dem Marxer Keller aus.
    17.
    Annes Vater war Arzt. Spross einer legendären Ärztedynastie. In den Arkaden der Universität befanden sich drei Bronzebüsten von seinen Vorfahren, die auf dem Gebiet der medizinischen Forschung Großes geleistet hatten. Streng blickende Männer mit Backen –, Zwirbel- oder Knebelbart. Annes Vater, er hatte keinen Bart, war nicht nur ein hohes Tier in der Standesvertretung der Ärzte, er war vor allem bekannt als Spezialist für gekrönte Häupter aus aller Welt. Das Fernsehen zeigte, wie sie in Wien ankamen, und übertrug dann die Pressekonferenzen, in denen er über ihren Gesundheitszustand Auskunft gab. Ich lernte ihn kennen, als ich Anne einmal von zu Hause abholte.
    Ihr Vater bot mir einen Aperitif an, während seine Tochter »sich frisch machte«. Sie hatte, wie sich herausstellte, bis zwanzig Minuten vor unserem Rendezvous geschlafen. Der Vater bot Sherry an (»mein erster Sherry«), schenkte ein, die »Frau Doktor« servierte Salzgebäck. Die riesige Wohnung. So viele Türen. Offenstehende Flügeltüren, die den Blick freigaben in Zimmerfluchten, ein Biedermeiermuseum. Dazu noch einfache Türen und Tapetentüren. Bei dieser Familie war immer noch etwas dahinter. Über dem Sofa, auf dem der Vater Platz nahm, hing ein Ölgemälde, das einen bärtigen Mann an einem Schreibtisch zeigte und dahinter eine Polstertür.
    Jetzt glaubte ich Anne zu lieben. Ich war verrückt nach ihr. Sie würde Türen öffnen, Zimmerfluchten, neue Räume in meinem Leben erschließen. Sie befand sich in Opposition zu ihren Eltern. Sie ging in eine Schauspielschule, wollte ihr Medizinstudium aufgeben. Sie las Trotzki. Sie liebte Dostojewski und arbeitete an einer dramatisierten Fassung der »Dämonen«. Sie erzählte mir die ganze Nacht davon. Wir tranken Wodka. »Mein erster Wodka«, mein zweiter und mein dritter. Ich hatte nicht genug Geld. Sie bezahlte. Dann fuhr sie ihren VW-Golf gegen eine Laterne. Wir waren zum Glück angeschnallt. Ich glaube, ich hatte ein leichtes Peitschenschlagsyndrom. Ich lallte: »Ich liebe dich!«
    Endlich war ich jung. Ich meine damit, endlich war ich kein Kind mehr und zugleich enthoben der irren Anforderung, erwachsen zu sein. Die kleinen Verhältnisse waren zertrümmert. Wir starrten durch die Windschutzscheibe, die zu Spinnenmuster geborsten war, auf eine Hauswand, die beleuchtet wurde von den schielenden Scheinwerfern ihres Golf. Ich liebe dich, sagte ich, und jedes Mal, wenn ich dich sehe, und was immer passiert, liebe ich dich noch mehr!
    Die Liebe ist eine Produktivkraft wie die Gesundheit, sagte Anne, es ist absurd, seine Gesundheit nur dafür zu verwenden, immer noch gesünder zu werden. Man muss sie in etwas anderes investieren. Und genauso die Liebe. Immer mehr lieben zu wollen, ist so unsinnig wie als Gesunder immer gesünder werden zu wollen. Trotzki! Schriften Band sechs.
    Sie war eben die Tochter eines Arztes. Am nächsten Tag hatte sie ein neues Auto.
    18.
    Anne hatte immer schon etwas anderes vor, wenn ich sie anrief und mich mit ihr verabreden wollte. Dann wieder rief sie an. Es ist eine sehr schwierige Entscheidung, ob man dann Stolz zeigt, kühl bleibt und zumindest ab und zu aus taktischen Gründen selbst gerade keine Zeit hat, oder ob man froh ist und sofort bereit.
    Ich hatte kein Problem damit, auf Abruf Zeit zu haben. Ich hatte ja Zeit. Stolz? Wozu? Ich war froh, wenn ich sie treffen konnte. Sie war die stärkere. Der Sex mit ihr war so, dass ich absolut sicher war: Eines Tages, wenn meine Körperpanzer brachen, würde ich eine Lust empfinden, so groß, dass es mich gleichsam ins All zerstäubte. Technisch war schon alles perfekt. Es musste nur noch – was? Ich weiß es nicht. Geschehen. Inzwischen bemühte ich mich nach Leibeskräften, sie nicht zu enttäuschen. Wenn sie überhaupt Zeit hatte. Mit anderen Worten: ich wurde immer apathischer, wenn ich allein war. Ich musste mich zwingen, etwas zu tun. Monatelang war ich schon nicht mehr auf der Uni gewesen, ich wollte nicht Frau Hader begegnen. Lesen. Wie mich die Literatur langweilte. Bei jedem Buch, das ich aufschlug, hatte ich schon nach dem ersten Satz genug. Ich schaukelte. Ich lernte alle ersten Sätze der Bücher auswendig, die im Marxer Keller in den Ikea-Regalen standen. Mein Favorit war der Anfang von

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